Asylzentrum – Unabhängiger Bericht gefordert
Kreuzlingen – Politiker, Sicherheitsunternehmen und auch das Staatsekretariat für Migration wurden durch einen Undercover-Bericht aufgeschreckt. Nationalrat Christian Lohr fordert einen unabhängigen Bericht.

Sein Bericht schlug Wellen: Terrorismusexperte Shams Ul-Haq im «Kriegsbunker» des Feuerwehrdepots Ost. (Bild: zvg)
Die Berichte von Shams Ul-Haq sind Dauerbrenner in den hiesigen Medien und auch international ein Thema. Der «Wallraff in Kreuzlingen» schreibt, dass Sicherheitsdienstleute Menschen im Empfangs- und Verfahrenzentrum (EVZ) demütigten und schlugen. Der freischaffende Journalist versuchte, seine «Story» an mehrere Zeitungen zu verkaufen, die «Sonntagszeitung» schlug als erste zu. Allfällige weitere Honorare spendet der Aktivist der Flüchtlingshilfe.
Sein Text, der ursprünglich aus 13 Seiten bestand, schlug Wellen: Darin lässt er Augenzeugen zu Wort kommen, die von systematischer Gewalt in einem extra dafür eingerichteten Raum berichten. Eine Person sei krankenhausreif geschlagen worden.
Ul-Haq trifft im Aslyzentrum Menschenhändler, Extremisten, Drogenhändler. Es gibt aber auch viel Positives zu berichten: Das Essen sei vorzüglich, das Haus modern und sicher, viele Mitarbeitende seien freundlich. Geschockt zeigt er sich davon, in einer Zivilschutzanlage – er schreibt «Kriegsbunker» – schlafen zu müssen. Nach fünf Tagen verlässt er das Empfangszentrum wieder. Hinaus wie hinein geht’s reibungslos, so auch über die Grenze.
Interview mit dem Journalisten und Terrorismusexperten Shams Ul-Haq.
Mangelnde Recherche?
Sein Bericht bietet nahezu für alle Seiten Anknüpfungspunkte. Er wurde in dieser Woche nicht nur deswegen mehrfach als unglaubwürdig kritisiert. Seine Recherche sei mangelhaft, weil er vom Hörensagen berichtet, ohne die Vorwürfe zu prüfen. «Ich muss meine Quellen schützen», sagt Ul-Haq dazu. «Aber es gibt für mich keinen Grund, an ihrer Richtigkeit zu zweifeln.» Das Gerücht über Gewalt im Asylzentrum mache zudem nicht erst seit gestern die Runde und er frage sich, warum nicht schon vor ihm Journalisten darüber geschrieben haben.
Auch der KreuzlingerZeitung gegenüber berichten Flüchtlinge, dass die Sicherheitsbeamten nicht gerade zimperlich seien.
Schläge wegen Rauchen
Eine Gruppe junger Afghanen guckt zuerst verlegen drein bei der Frage nach Attacken durch das Sicherheitspersonal. Nach und nach öffnen sie sich aber: «Weil wir verbotenerweise im Zentrum rauchten, haben wir Ohrfeigen und auch Faustschläge ins Gesicht erhalten.» Von einem Raum, in dem Flüchtlinge systematisch verprügelt werden, erfährt man jedoch nichts bei einem Besuch im Flüchtlingscafé.
Die zuständige Securitas aus Zollikofen und ebenso das Staatssekretariat für Migration (SEM) nehmen solche Vorwürfe ernst.
«Wir haben umgehend überprüft, ob und wie weit allenfalls Mitarbeitende von den Vorwürfen betroffen sind», schreibt Securitas-Kommunikationschef Urs Stadler. Ergebnis: negativ. «Sollten sich unsere Mitarbeitende tatsächlich nicht korrekt verhalten haben, würden wir unverzüglich Korrekturen einleiten und Sanktionen ergreifen.» Die speziell ausgebildeten Männer und Frauen seien unter anderem durch den Kurs «Interkulturelle Kompetenz» befähigt, der in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe angeboten wird.
Das SEM zeigt sich dagegen vor allem über die gewählten Mitteln, ergo den Undercover-Einsatz Shams Ul-Haqs, befremdet. Für die unabhängige Kontrolle der Asylzentren sei die nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) zuständig. «Wenn dem SEM Informationen von kritischen Vorfällen in einem Zentrum vorliegen, werden diese unverzüglich – unter Einbezug der entsprechenden Partnerorganisation – gründlich und sorgfältig abgeklärt», erklärt Sprecher Martin Reichlin. Sofern es Indizien auf strafbare Handlungen gebe, würden ohne Verzug die zuständigen Behörden eingeschaltet. Das SEM rät Ul-Haq, Anzeige zu erstatten.
«Nichts darf offen bleiben»
Auch Nationalrat Christan Lohr (CVP) findet Undercover-Aktionen problematisch. «Punkte wie der Wahrheitsgehalt und die Qualität lassen sich bewusst kaum bis gar nicht prüfen», schreibt der Kreuzlinger Journalist auf Anfrage. «Darum sollten diese schwerwiegenden Anschuldigungen zu einer Entlastung der Verantwortlichen unabhängig geprüft werden. Es geht ja auch um das Ansehen unserer Sicherheitskräfte auf breiterer Ebene. Da darf nichts offen zurückbleiben.»
Shams Ul-Haq indes ist wenig beeindruckt und befindet sich schon auf seinem nächsten Einsatz: Er recherchiert seit gestern in einem Flüchtlingsheim in Istanbul.
Verbesserungsvorschläge werden nicht akzeptiert
Shams Ul-Haq hat Vorschläge zur Verbesserung der Situation im Kreuzlinger Asylzentrum, unter anderem empfiehlt er, Syer und Iraker von Beginn an zu trennen, Gebetsräume einzurichten und mehr Telefone zur Verfügung zu stellen. Keinen dieser Punkt lässt das Staatssekretariat für Migration (SEM) gelten. Eine Trennung nach Ethnien oder Religionen sei «aus organisatorischen und Kapazitätsgründen nicht möglich». Die «Durchmischung» nach Geschlecht, Alter, Herkunft trage eher zu einem guten Klima bei. Andachtsräume stünden in den Bundesasylzentren «in der Regel» zur Verfügung. Wie viele Mobilgeräte für Flüchtlinge, welche eine eigen SIM-Karte besitzen, vorhanden sind, will das SEM nicht sagen. Es seien aber genügend. Zudem gebe es öffentliche, kostenpflichtige Apparate – ohne Angabe von Zahlen.
Wir haben im Folgenden die ungekürzten Statements des Staatssekretariats für Migration (SEM) und der Sicherhheitsfirma Securitas angehängt.
So schreibt Martin Reichlin, Stv. Leiter Information und Kommunikation beim SEM:
- Das Staatssekretariat für Migration hält fest, dass der Bund für einen fairen und respektvollen Umgang mit den Asylsuchenden unter seiner Obhut einsteht.
- Wenn dem SEM Informationen von kritischen Vorfällen in einem Zentrum vorliegen, werden diese unverzüglich – unter Einbezug der entsprechenden Partnerorganisation – gründlich und sorgfältig abgeklärt.
- Sofern es Indizien auf strafbare Handlungen gibt, werden ohne Verzug die zuständigen Behörden eingeschaltet.
- Asylsuchende sind in den Zentren nicht eingesperrt. Sie dürfen sich im Rahmen der Öffnungszeiten des Zentrums frei bewegen.
- Sämtliche Asylsuchende werden zu Beginn des Verfahrens mit Personalien und Fingerabdrücken registriert und in den verfügbaren polizeilichen Datenbanken überprüft. Diese Abklärungen werden noch weiter ausgebaut. Der Bundesrat hat am 18. Dezember 2015 Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus beschlossen. Die mit der Terrorismusbekämpfung befassten Bundesbehörden erhalten 86 zusätzliche Stellen. Davon entfallen 8 Stellen auf zusätzliche Identifikationsspezialisten im SEM. Eine erste Überprüfung passiert systematisch innerhalb der ersten Tage nach Ankunft in der Schweiz. Dabei werden Datenbanken abgefragt und Identifikationsmassnahmen vorgenommen.
- Wichtig: Es wird niemand auf die Kantone verteilt, der nicht registriert und identifiziert ist.
- Sämtliche Dossiers, in denen sich staatssicherheitsrelevante Indizien finden, werden dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zur Prüfung übergeben. Dieser prüft, ob die Verdachtsmomente zutreffen oder nicht. Das Vorgehen ist gesetzlich geregelt, und zwar in der Verordnung über den Nachrichtendienst des Bundes (Artikel 4).
- Aus gewissen Ländern mit terroristischen Zellen werden sämtliche Dossiers dem NDB überstellt. Es ist der NDB, der die Kriterien definiert, wonach das SEM die einzelnen Gesuche zur Prüfung zu übergeben hat. Die Zusammenarbeit zwischen SEM und den Sicherheitsbehörden funktioniert sehr gut. Es besteht auch eine entsprechende ämter- und departementsübergreifende Arbeitsgruppe, die die Zusammenarbeit kontinuierlich überprüft und gegebenenfalls verbessert.
Zum Artikel von Shams Ul-Haq hat das SEM folgendes anzumerken:
- Das SEM nimmt mit Befremden zur Kenntnis, dass Medienschaffende Undercover-Aktionen unternehmen – dies verletzt die Persönlichkeitsrechte der Asylsuchenden und stellt eine Verletzung des Hausrechts dar.
- Die unabhängige Kontrolle der EVZ ist nicht Sache der Journalisten, sondern ist durch die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter NKVF (und andere Organisationen) sichergestellt, die im Jahr 2013 etliche Asylunterkünfte des Bundes besucht hatte.
- Das SEM ist nicht in der Lage zu beurteilen, ob die beschriebenen Vorkommnisse sich tatsächlich so ereignet haben oder nicht. Dies setzt Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden voraus.
- Das SEM geht deshalb davon aus, dass sich die Sonntagszeitung und insbesondere der Zeuge umgehend bei den zuständigen Polizeibehörden melden, damit die gerichtspolizeilichen Ermittlungen eingeleitet werden können.
- Selbstverständlich wird das SEM jene Vorwürfe, die nicht nach strafrechtlichen Abklärungen verlangen, sorgfältig überprüfen und gegebenenfalls Massnahmen ergreifen.
- Grundsätzlich ist aber zu sagen: Im Jahr 2015 waren so viele Menschen auf der Flucht, wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr. Auch die Schweiz verzeichnete im zweiten Halbjahr 2015 anhaltend hohe Asylgesuchseingänge, sie befindet sich deshalb seit Monaten in einer besonderen Lage. Das SEM stellt mit Genugtuung fest, dass bisher trotz der ausserordentlich hohen Asylgesuchzahlen alle Schutzsuchenden in den Strukturen des Bundes und der Kantone aufgenommen und versorgt werden konnten. Dies war nur aufgrund des grossen Einsatzes und der Professionalität der vor Ort tätigen Mitarbeitenden möglich – ohne dass bisher grössere Problemen wahrnehmbar gewesen wären. Hingegen kann es bei einer solchen Situation von monatelanger Überbelastung der Strukturen vorkommen, dass bisweilen nicht alles so geordnet vor sich geht, wie in normalen Zeiten und dass in der Betreuung teilweise auch improvisiert werden muss, um Engpässe zu überbrücken. So mussten beispielsweise zeitweise Matratzen in die Esssäle gelegt werden, damit alle neu ankommenden Asylsuchenden im Zentrum aufgenommen werden konnten und einen Platz zum Schlafen fanden.
Urs Stadler, Leiter Kommunikation bei der Securitas, antwortet auf Fragen nach dem Handlungsbedarf wegen den Enhüllungen und verteidigt die Ausbildung seiner Mitarbeitenden:
- Securitas hat den Bericht des deutschen Journalisten zur Kenntnis genommen und umgehend überprüft, ob und wie weit allenfalls Mitarbeitende davon betroffen sind. Weder uns noch den Verantwortlichen des SEM sind solche oder ähnliche aktuellen Vorwürfe bekannt. Sollten sich Mitarbeitende unserer Unternehmung tatsächlich nicht korrekt verhalten haben, würden wir unverzüglich Korrekturen einleiten und Sanktionen ergreifen.
Dieses Vorgehen entspricht der standardisierten Qualitätssteuerung, die wir zusammen mit unseren Auftraggebern des SEM institutionalisiert haben. Die Erfahrung zeigte bisher, dass die meisten solcher Vorwürfe auf «Hörensagen» beruhen und bei eingehender Untersuchung einer konkreten Basis entbehren. Im Übrigen ist die gegenseitige Wahrnehmung in SEM-Objekten vielschichtig, weil auf begrenztem Raum SEM-Mitarbeitende, Betreuungs- und Sicherheitspersonal nebeneinander arbeiten. Die Asylsuchenden ihrerseits können sich jederzeit zugewandten, gemeinnützigen Organisationen anvertrauen. Dank diesen Kontrollmechanismen werden Unstimmigkeiten oder gar Übergriffe rasch erkannt. - Die Mitarbeitenden der Securitas werden auf ihre Eignung überprüft und gezielt für diese Funktionen ausgewählt. Sie werden vom SEM einzeln akkreditiert und sind speziell für diese anspruchsvollen Sicherheitsaufgaben ausgebildet. Zusätzlich zu allen erforderlichen Ausbildungen absolvieren die im SEM eingesetzten Mitarbeitenden einen zusätzlichen Lehrgang für «Interkulturelle Kompetenz», welcher in direkter Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe entwickelt und vermittelt wird. Diese Ausbildung befähigt unsere Mitarbeitenden, den unterschiedlichen religiösen, politischen und kulturellen Prägungen in einem Empfangszentrum korrekt zu begegnen. Es braucht Toleranz, Flexibilität und Durchsetzungsvermögen, um einen geordneten Betrieb zu gewährleisten. Wir beweisen seit vielen Jahren und in zahlreichen Aufträgen, dass wir diese Aufgaben korrekt erfüllen.