Rummel ums Stadthaus verschoben
Kreuzlingen – Da hatten wir vergangene Woche etwas voreilig getitelt. Der «Rummel ums Stadthaus» muss auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Auf Antrag der SP wies der Gemeinderat gestern die Stadthaus-Botschaft zurück an den Stadtrat.
Das Projekt als solches wurde in der Sitzung nur von einem einzigen grundsätzlich kritisiert. Hinter einem neuen Stadthaus scheinen dafür die meisten Gemeinderäte zu stehen. Dennoch wurde ein Grundsatzentscheid vertagt, die Botschaft muss nun vom Stadtrat überarbeitet werden.
Zur Volksabstimmung im Juni wird es also nicht mehr reichen. Das bedeutet eine Verspätung mindestens bis zum nächsten Abstimmungstermin im Herbst. Frühestens dann würde der Souverän entscheiden können, ob es ein neues, zentrales Verwaltungsgebäude auf dem Bärenplatz samt Neugestaltung der Festwiese und Tiefgarage für 47,5 Millionen Franken geben soll. Ob der Stadtrat jetzt sein Infobüro im ehemaligen Tiefenbacher direkt schliesst, ob die Podiumsveranstaltung zum Thema, die für den 18. Mai geplant war, abgesagt wird, ist noch nicht entschieden. Vielleicht kann die Exekutive die aufgegleisten Veranstaltungen auch nutzen, um herauszufinden, auf welche Weise die Botschaft mehrheitsfähig zu verbessern sei.
Mit besten Absichten
Was war geschehen? Die Sozialdemokraten schafften es gestern, genügend Gemeinderäte auf ihre Seite zu ziehen. «Wer für das Stadthaus ist, der stimmt für die Botschaft. Wer SEHR für das Stadthaus ist, der stimmt für die Rückweisung der Botschaft», hatte Andreas Hebeisen (SP) sie eingestimmt.
Zu viele Mängel entdeckten sie in der Botschaft. Er vermisse «relevante Zahlen», erklärte Fraktionschef Ruedi Herzog (SP). Er kritisierte «fehlende Sicherheit», es gebe keine «Nachnutzungs- und Entwicklungskonzepte» für die bestehenden Verwaltungsgebäude. Die «Gesamtsicht» fehle. Und vor allem: «Forderungen», die man schon vor Jahren gestellt habe und die damals als «selbstverständlich» abgetan wurden (zum Beweis zitierte Herzog aus Gemeinderatsprotokollen), seien nirgendwo in der Botschaft zu finden. Etwa die Verbindung von Stadthaus mit Stadtzentrum.
Damit überraschte er selbst Fraktionskollege Hebeisen: «Ich bin erschüttert. Alles, was damals gesagt wurde, fiel über Bord.» Nur mit einer ausgeklügelteren Botschaft sei es möglich, die Gegner des Stadhauses, von denen es mehrere Gruppen gebe, beispielsweise die «Marktsträssler», zu überzeugen. «Wir müssen die Nein-Sager abholen, sonst geht es bachab», prognostizierte er. «Der Stadtrat muss nachbessern.»
Während SVP, Freie Liste und CVP von Anfang an einstimmig für das Stadthaus waren, überzeugte die SP vor allem Mitglieder aus den Reihen der FDP/EVP-Fraktion von der Rückweisung. Beat Rüedi (FDP) zeigte sich als einziger Gemeinderat an diesem Abend vom Stadthaus grundsätzlich nicht überzeugt. Christian Brändli (FDP) unterstützte den Rückweisungsantrag: «Zurück ist der richtige Weg, damit wir zu einem neuen Stadthaus kommen.»
Ernsthafte Voten für das Stadthaus bzw. gegen den Rückweisungsantrag kamen vom Präsidenten der vorberatenden Kommission, Christian Forster (Rägäbogä), von Marc Portmann und Alexander Salzmann (beide FDP), von Dino Lioi (SP) und Thomas Dufner (CVP). Selbst die nicht hundert Prozent überzeugte Barbara Hummel (SVP) warf ihr Gewicht in die Waagschale. Unterstützt durch Stadtrat Ernst Zülle und Stadtpräsident Andreas Netzle gelang es ihnen aber nicht mehr, die Mehrheit hinter sich zu versammeln. Nach einer kurzen Pause, in der eifrig diskutiert wurde, hiess das denkbar knappe Ergebnis des vollzählig anwesenden Gemeinderates 20 Ja- gegenüber 20 Nein-Stimmen.
Durch Stichentscheid des Gemeinderatspräsidenten Thomas Leuch (EVP) wurde die Botschaft zum Stadthaus zurückgewiesen.
Das Bild zum Artikel zeigt erdrückend, wie sich das Stadthaus im letzten freien Raum der Kreuzlinger Mitte wie eine Krake ausbreitet. Es bildet zudem die unmittelbare Beeinflussung der Klosterbauten im Vordergrund ab und wirkt sichtbar wie eine Mauer gegen den nördlich anschliessenden Bildungscampus. Und der Laubengang entlang der Pestalozzistrasse? Dieser ist nicht nur überflüssig, sondern schliesst das Gebäude gegenüber dem Dreispitzpark und der inneren Stadt aus und ist ein Witz, wie auch die visualisierten Sägemehlringe davor, die dem Architektenhumor zu zu ordnen sind. Die historische Freifläche – während der klösterlichen Zeit standen hier Reben – ist auf alle Zeiten frei zu halten und zum Beispiel parkähnlich/gartenähnlich als Erweiterung der Dreispitzanlage zu gestalten, wobei der bereits vorhandene Feststreifen am Bärenplatz genügt, um besondere Veranstaltungen, wie etwa Jahrmarktaktivitäten, sinnvoll zu ermöglichen.
Nun hat der Gemeinderat, wie zu lesen ist, ein „Dafür oder Dagegen“ mindestens auf den Herbst verschoben. Und so bleibt Zeit, ein superbes Projekt auszuarbeiten, das die Vorzüge einer Weiterentwicklung des Stadthauses an der jetzigen Stelle in der geschäftigen Mitte der Stadt, an der Hauptstrasse/Bereich Marktstrasse – nomen est omen – aufzeigt.
Ein Stadthaus soll heute ein belebendes Universum sein. Kreativ geplant kann es auf vielfältige Weise gesellschaftlich und kulturell zu einer urbanen Wichtigkeit gerade in einer Stadt werden, in der über die Hälfte der Einwohner ausländischer Herkunft sind. Man zeigt sich, man begegnet sich, man lernt sich kennen. Und wo? In der Mitte: Bei administrativen Belangen, beim Einkaufen, beim Schlendern, im „Kafi“, usw!
Die enormen Geldmittel, die für einen Stadthauskomplex vorzusehen sind, sollten grundsätzlich einer zielorientierten, allgemeinen Zukunftsperspektive ausgesetzt sein, welche die vielen kommenden Aufgaben der Stadt erschliesst, besonders auch im Blick auf Sport und Kultur. Stichworte sind: Kulturzentrum „Alte Molkerei“, Sportplatzsituation Klein Venedig mit angedachter Verlagerung ja/nein, usw. Darüber ist zu diskutieren und konkret vorauszuplanen. Nur mit einer transparenten Gesamtplanung für das kommende Jahrzehnt – und sogar darüber hinaus – ist es prinzipiell sinnvoll, einen “ so grossen Brocken“ für behördliche Belange – die Stadt ist administrativ ja derzeit nicht am Ende angelangt! – zu verplanen.
Lieber Herr Neidhart
Zum Thema „Stadthaus“ treffen Sie den Nagel immer auf dem Kopf. Ich kann 100% alles nachvollziehen. Seit Jahren plädiere ich, die Bevölkerung ins Boot zu nehmen um über Kreuzlingen 2030 zu diskutieren. Dieses Thema darf der Stadtrat und der Gemeinderat nicht selber bestimmen. Ich bedanke mich wieder einmal bei der SP für ihre Weitsicht und ihren Mut, das Ganze zu hinterfragen. Ich hoffe, dass man diese Chance packt. Nur die Botschaft zu verbessern genügt nicht. Ich persönlich kenne viel mehr Nein-Sager als Befürworter. Diese müssen nun überzeugt werden. Mich auch.