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KESB hält sich nur ans Gesetz

Kreuzlingen – Wenn Menschen sich nicht mehr selbst versorgen können und besonders schutzbedürftig sind, bekommen sie Helfer an die Seite gestellt. Was früher Vormund hiess, sind heute Beistände. Wer betreut werden muss, entscheidet seit 1. Januar 2013 im Thurgau die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB). Diese kann auf verschiedenen Wegen Kenntnis von hilfsbedürftigen Personen bekommen, einer davon ist die Meldung. Ein Kreuzlinger ist dadurch unverhofft in die Mühlen der KESB geraten.

Christian Jordi, Präsident der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Kreuzlingen, hält sich strikt an gesetzliche Vorgaben. (Bild: tm)

Christian Jordi, Präsident der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Kreuzlingen, hält sich strikt an gesetzliche Vorgaben. (Bild: tm)

Werner S. (Name von der Redaktion geändert) hatte sich bei einem Kreuzlinger Geschäft mehrfach beschwert, weil sein Telefon längere Zeit nicht funktionierte. Daraufhin wurde er bei der Kreuzlinger KESB gemeldet.

Im Dezember 2013 fand der 72-Jährige ein Schreiben der Behörde im Briefkasten und fiel beinahe aus allen Wolken: «Aufgrund einer bei der KESB eingegangenen Gefährdungsmeldung betreffend Ihre Person, lade ich Sie im Auftrag von Herrn Benno Koch, dem für diesen Fall zuständigen Behördenmitglied, zu einer Anhörung vor.»

Amtliche Vorladung
S. hatte am Donnerstag, 19. Dezember, um 10.30 Uhr im Büro der KESB an der Konstanzerstrasse in Kreuzlingen zu erscheinen. Der ältere Herr wusste nicht wie ihm geschah, er war sich weder einer Schuld noch  Hilfsbedürftigkeit bewusst. Auch konnte er sich nicht an einen Vorfall erinnern, der ihm diese Vorladung eingebracht haben könnte. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube und verunsichert erschien er schliesslich einen Tag vorher, als gefordert, bei der KESB. Hier wurde er von Behördenmitglied Benno Koch befragt (das Protokoll liegt uns vor).

S. sei immer wieder wegen des Telefonanschlusses oder des Telefons vorbeigekommen und habe einen «verwirrten Eindruck» hinterlassen. Es habe auch den Anschein gemacht, als ob er vergessen hätte, was er bereits gemacht habe. «Geschieht Ihnen das öfters?», fragte Koch. «Das stelle ich so an mir nicht fest. Bei der Firma bin ich immer wieder vorbeigegangen, weil das Telefon nicht funktioniert hat», antwortete S. In der etwa halbstündigen Anhörung ging es auch um die aktuelle Lebenssituation des Mannes und was er von der Errichtung einer generellen Vertretungsbeistandschaft nach Zivilgesetzbuch halte. «Das brauche ich nicht», sagte S.

Der Alleinstehende kümmere sich um seine Angelegenheiten, die Pro Senectute helfe bei Steuersachen. Rechnungen würden ebenfalls fristgerecht bezahlt, was er durch sein mitgebrachtes Empfangsscheinbuch der Post belegte. Er brauche weder einen Beistand, noch medizinische, psychologische oder psychiatrische Hilfe, erklärte S. Nach Hinweisen auf weitere Schritte und die Kosten der Beistandschaft war die Befragung beendet. Ob und wie die KESB in seiner Angelegenheit entschieden hat, ist nicht bekannt.

Denunzieren erlaubt?
Es stellt sich die Frage, ob jeder jeden einfach so bei der KESB als gefährdet melden kann, auch wenn vielleicht gar nichts dahinter steckt. Ob damit Denunziantentum oder gar Verleumdung Tür und Tor geöffnet wird. «Wir müssen jeder Meldung nachgehen», macht KESB-Präsident Christian Jordi die Rechtslage klar. «Wer allerdings andere Personen bewusst zu Unrecht meldet, riskiert juristische Schritte.»

Eigene Standards gesetzt
Die Fälle werden in einem «standardisierten Verfahren» abgearbeitet. Diversen Vorprüfungen wie Glaubwürdigkeit der Informationen, Grad der Gefährdung oder vorsorglichen Sofort- massnahmen folgt die Sachverhaltsabklärung. Zum Beispiel durch Berichte, Gutachten, Augenschein oder – wie im genannten Fall S. – durch Anhörung. Die Beweisergebnisse werden ausgewertet, es gibt eine Diagnose und Lösungsoptionen mit oder ohne Schutzmassnahmen. Der Entscheid durch drei der fünf Behördenmitglieder ist anfechtbar, zunächst beim Obergericht Thurgau als Aufsichtsinstanz der KESB und dann beim Bundesgericht.

Dass die KESB derart förmlich und gesetzmässig agiert, ist gewollt: «Wir sind gerichtsähnlich organisiert und handeln verfahrensrechtlich nach Vorgabe des Kantons Thurgau», erläutert Präsident Jordi. «Unsere Arbeit ist es, Entscheide zu fällen», auf der Basis von Recht und Gesetz wie etwa dem Zivilgesetzbuch (ZGB) und der Verordnung über den Kindes- und Erwachsenenschutz (KESV).

Der Jurist steht dabei einer fünfköpfigen Behörde vor, der sechs Mitarbeiter, darunter Juristen und eine Psychologin, zuarbeiten. Die Behördenmitglieder werden vom Regierungsrat auf vier Jahre gewählt, die Sachbearbeiter von der Behörde angestellt. Alle KESB-Mitarbeiter in Kreuzlingen sind in Teilzeit tätig, mit unterschiedlichen Stellenprozenten. Für Jordi ein Problem: «Mehr ist leider nicht drin, damit haben wir zu kämpfen.» Der Regierungsrat wollte der KESB ursprünglich mehr Ressourcen zur Verfügung stellen, was vom Grossen Rat allerdings abgelehnt wurde. Die Folge seien eben standardisierte Abläufe, «die wir selber generiert haben», so Jordi.

Diese Standards erschweren einen flexiblen und individuellen Umgang mit den Klienten. Deshalb seien zum Beispiel die Einladungsschreiben derart förmlich verfasst, deshalb könnten nur bestimmte Personen – wie Kranke oder Mobilitätseingeschränkte – zu Hause besucht werden, deshalb könnte man die Betroffenen auch nicht anrufen und telefonisch befragen.

Eine Anregung will Christian Jordi aber aufnehmen und einbringen in seine wöchentliche Besprechung mit dem Team. Den Vorschlag, den konkreten Sachverhalt doch gleich im Vorladungsschreiben zu nennen, damit sich die Personen besser auf die Befragung vorbereiten können.

Immer mehr Betroffene
Die Zahl der Bedürftigen und der Fälle nimmt immer mehr zu. Etwa 600 «verbeiständerte Personen» seien aktuell bei der Kreuzlinger KESB geführt, die Mehrzahl davon Erwachsene. Jordi führt dies unter anderem auf die steigende Bevölkerungszahl im Thurgau zurück. Die genaue Statistik über das erste KESB-Jahr 2013 soll noch in diesem Halbjahr veröffentlicht werden.

Wenn keine Angehörigen da sind, übernehmen die Betreuung hilfsbedürftiger Personen in der Regel Berufsbeistände, die bei den Gemeinden angestellt sind. Diese haben sich im Bezirk Kreuzlingen aus strategischen und finanziellen Gründen zu einzelnen Regionalgruppen zusammengefunden, wobei sich Kemmental nach Märstetten orientiert hat. Münsterlingen gehört zur «Regionalen Berufsbeistand- schaft See», unter anderem mit Tägerwilen, Gottlieben und Ermatingen. Altnau, Güttingen und Langrickenbach haben sich der «Berufsbeistandschaft Oberthurgau» angeschlossen, während Kreuzlingen, Lengwil und Bottighofen im Zentrum eine Einheit bilden.

Für Christian Jordi «keine effiziente Struktur». Sein Ziel ist, dass der ganze Bezirk von Kreuzlingen aus bearbeitet wird, was sicher effizienter und wahrscheinlich kostengünstiger sei.

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3 thoughts on “KESB hält sich nur ans Gesetz

  1. Detlev Küntzel KN

    In Dt. gibt es keine solche umfassende Einrichtung (insbes. für alte Leute). Irgendwann wird einem der Kontakt zu Ambulanten Pflegedienste empfohlen, meistens durch den Hausarzt. Ein normaler Vorgang wie die Einweisung ins Klinikum bei einem Beinbruch. Persönliche und medizinische Eindrücke dürften von Ärzten und Pflegedienst protokolliert werden.
    Die Aufgaben (Tätigkeiten) des Pflegedienstes werden eigentlich vom Hausarzt verordnet, aber es herrscht rasend schnell ein familiäres Verhältnis (als wenn sich beste Freundinnen treffen = eine 80-jährige mit lauter 20-50 Jährigen Frauen und minimalen Männern) . Diese geben private Tips und Vorschläge weiter, dürfen aber keine Prognosen und weiteren ärztlichen Hilfeleistungen machen. Nach einer 2-jährigen Ausbildung dürfte im Vergleich ein Psychologie etwas blass aussehen. Als entfernt beobachtender Zuschauer fühlt man sich winzig, was seine Zeit zum Verarbeiten benötigt hat.
    Die Krankenkassen haben einen medizin. Dienst der KK: man füllt einen umfassenden Antrag aus und verschickt ihn an die KK. Tage später erhält man den Brief mit einem Vorschlagsdatum. Eine Ärztin reist an und unterhält sich mit der Betreuten, auch der Betreuende ist anwesend. Ein Schriftwechsel der Mediziner, Arzneimittelliste usw ist hilfreich. Die Ärzte werden von der Schweigepflicht entlassen und können beliebig befragt werden (ebenfalls der Pflegedienst). Im besten Fall hat die Ärztin bereits einen Gesamteindruck erhalten und verabschiedet sich mit „eine Pflegestufe sollte möglich sein“. Sie gibt auch weitere Tips für die Zimmer-Gestaltung und KK-Unterstützung bei speziellen Anschaffungen.
    Es handelt sich um ein kleines Taschengeld. dass nach Stufe etwas erhöht wird. Wichtig ist vor allem das Gutachten, dass den medizinischen und psychologischen Eindruck (von einer langjährigen Ärztin) zu einem Datum festhält und sehr umfassend sein dürfte, wenn mehrere Meinung verarbeitet werden. Als Vorteil wird gelten, dass man den Verlauf schnell verfolgen kann, insbes. wenn sich Zustände verschlechtern und Fragen nach einer Heimunterbringung etwas näher rücken.

    PS.
    Pflegepersonal aus Dt bzw. anderen Staaten mit besten Sprachkenntnissen sind ihr Geld sicher wert, sogar in CH-Franken.

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  2. Paul Lanz

    Ja wer in die Fänge dieser Behörde gelangt hat keine Chance mehr und wird sie auch nicht los. Man wird so eingeschränkt, dass das leben zur Hölle wird. Ich arbeite normal und trotzdem bin ich ohne festen Wohnsitz, wurde von der KESB bei meinem Arbeitgeber denunziert und musste eine Lohneibusse in Kauf nehmen, weil ich in ein andere Funktion befördert wurde. Als ich einen Anwalt einschaltete wurde diesem verboten weiter zu arbeiten, wen und wer mich vertreten soll entscheide nur die KESB. Diese Behörde ist so willkürlich, dass sie die Menschen entweder in den Selbstmord treibt oder diese ihr Heimatland verlassen müssen um sie los zu werden!! Es ist alles nur schlimm, man ist hilflos ausgeliefert.

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  3. Nina

    Der Erwachsenenschutz sollte ja ein selbstbestimmtes Leben garantieren, so lange es geht. Jemanden bei der Behörde einfach auf Verdacht zu melden, ist tatsächlich sehr kritisch. Hier ist sicher der bessere Weg, zunächst die betreffende Person einfach zu fragen, ob sie Hilfe braucht.

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