/// Rubrik: Topaktuell

Hitzige Diskussionen um den Boulevard

Kreuzlingen – Um nichts weniger als die Zukunft des Boulevards ging es am Montagabend im Dreispitz. Zu einer Annäherung zwischen Gewerbe, Anwohnern, Initianten und Stadtrat kam es dabei nicht. Das Thema wurde emotional diskutiert.

(V.l.) Stadtammann Andreas Netzle, Gewerbler Ralph Schär und Patrick Wiget. (Bild: sb)

(V.l.) Stadtammann Andreas Netzle, Gewerbler Ralph Schär und Patrick Wiget. (Bild: sb)

Der Stadtrat hatte die Bevölkerung zum Informationsabend eingeladen. Thema war der Boulevard-Verkehr: 9000 Autos fahren täglich über die umgebaute Hauptstrasse. 70 Prozent davon werden dem Durchgangsverkehr zugerechnet. Dieses Aufkommen soll reduziert werden – doch wie das geschehen soll, darüber herrscht Uneinigkeit.

«9000 Autos, das ist doch eigentlich gar kein so grosses Problem», rief Verkehrsplaner Dominik Hasler gegen Ende der Veranstaltung aus. Es wurde teilweise heftig diskutiert, sodass sich einer der Moderatoren in seinem Schlusswort veranlasst sah, zu mahnen: «Bleiben Sie sachlich, damit Sie sich nach der Abstimmung, egal wie diese ausgeht, auch noch in die Augen sehen können.»

Das sind die vier Seiten:
– Der Stadtrat, er hat eine Signalisationsänderung aufgelegt, die eine direkte Durchfahrt des «Boulevards» in einer Linie in beide Richtungen verunmöglicht und nur Ausfahrten über wenige Seitenstrassen zulässt. Dagegen gab es Rekurse (mittlerweile in erster Instanz abgewiesen), eine Volksinitiative wurde lanciert.
– Die Volksinitiative für einen autofreien Boulevard will eine Fussgängerzone. Noch in diesem Jahr wird darüber abgestimmt.
– Das Gewerbe hätte nichts lieber als mehr Parkplätze direkt vor dem eigenen Laden.
– Der Quartierverein als Anwohnervertretung entwirft Schreckensszenarien, sollte der Boulevard gesperrt werden, und will lieber den Status Quo erhalten.

«Wir haben zu viel Verkehr, daran haben wir uns gewöhnt – trotzdem kann es so nicht weitergehen», schickte Stadtammann Andreas Netzle in seiner Einleitung voraus. Dann stellten drei Fachplaner ihre Studien vor, welche die Stadt im Zusammenhang mit dem Boulevard in Auftrag gegeben hatte.

An der anschliessenden Podiumsdiskussion nahmen neben Stadtrat Michael Dörflinger und Stadtammann Andreas Netzle auch Gemeinderat Daniel Moos für die Initiative autofreier Boulevard und Patrick Allemann als Vertreter des Quartiervereins Bodan teil. Für die Kreuzlinger Gewerbetreibenden standen Ralph Schär (Haberer Schuh AG) und Patrick Wiget (Raumkult) am Tisch.

Daniel Moos verwies auf den Verkehrsrichtplan von 2011 und versuchte, Bedenken gegen eine Fussgängerzone zu zerstreuen: «Der Verkehr wird nicht über die kleinen Quartierstrassen abfliessen.» Kreuzlingen habe zudem «riesiges Potenzial, um die Leute mit dem ÖV in die Stadt zu holen». Moos sagte auch, dass er die Ängste des Gewerbes verstehen könne. Eine Fussgängerzone sei jedoch ein richtungsweisender Entscheid und «eine Riesenchance». Wie Massnahmen aussehen können, um diese dann auch zu beleben, oder wer diese in die Wege leiten und bezahlen soll, konnte er leider nicht darlegen.

Vorwurf des Populismus
«Eine gute Lösung kann nur miteinander gefunden werden. Die Bevölkerung wird aber nicht wahrgenommen», richtete Patrick Allemann als Direktbetroffener aus dem Quartier zunächst Kritik an den Stadtrat. «Ihr versteckt euch mut- und konzeptlos hinter Studien und Modellen, Visionen fehlen.» Bei der Planung habe man sich hinsichtlich der Verkehrsreduktion um 50 Prozent verschätzt. Sollte die Initiative autofreier Boulevard im September angenommen werden, befürchtet er Schlimmstes: «Das führt zu einer Verelendung des Boulevards, dann hat es überall Zustände wie am Rondo.» Die Initiative bezeichnete er als «populistisch und gefährlich». Es sei vernünftiger, dem Boulevard eine Chance zu geben, wie er ist.

Das Gewerbe lehnt die Fussgängerzone nicht grundsätzlich ab. Zum jetzigen Zeitpunkt würde sich eine Sperrung des Boulevards für den motorisierten Verkehr aber fatal auf die Geschäfte auswirken, verdeutlichte Patrick Wiget und kündigte die Gründung eines Nein-Komitees an. «Wir werden unser Möglichstes tun, um eine solche zu verhindern.» Schon heute forderte Ralph Schär Massnahmen, um den Boulevard zu beleben.  «Die Zeit ist noch nicht reif für eine Fussgängerzone. Die dafür nötigen Frequenzen sind in Kreuzlingen nicht gegeben.»

Für Stadtammann Andreas Netzle ist eines klar: «Der Stadtrat hat den Auftrag erhalten, den Durchgangsverkehr zu reduzieren.» Deswegen verwahrte er sich gegen die Kritik Allemanns. «Unsere Lösung wurde verhindert», schoss der Stadtammann zurück. «Ihr müsst euch mal festlegen, was ihr wollt.» Man habe Massnahmen präsentiert, diese dem Feedback gemäss nachgebessert, woraufhin es Rekurse gab und die Initiative lanciert wurde.

Gegenvorschlag kommt nicht
Auf die Frage, ob ein Gegenvorschlag zur Initiative erarbeitet werden könne, antwortete er, dass man mit den Initianten gesprochen, aber dabei keinen Kompromiss gefunden habe, der für beide tragbar wäre. «Wir wollen nicht, dass der Boulevard gesperrt wird. Ausserdem: Einen Gegenvorschlag haben wir indirekt schon vorgelegt.» Schlussendlich bestehe aber die  theoretische Möglichkeit, dass der Gemeinderat einen solchen erarbeitet, schickte Netzle eine Spitze in Richtung Stadtparlament.

Share Button

Weitere Artikel aus der Rubrik Topaktuell

One thought on “Hitzige Diskussionen um den Boulevard

  1. Bruno Neidhart

    Die Frage ist weniger, was es am zentralen Stadtboulevard „nicht braucht“, sondern: „was es braucht“! Obwohl die Einwohnerzahl der Stadt und der Agglomeration in den vergangenen Jahren stetig gestiegen ist, trotz der „eidgenössisch zweigeteilten Meinung“ die Einwanderung wohl noch weiter steigen muss, nicht zuletzt, um einen Kollaps der Immobilienwirtschaft zu verhindern, so ist der kommerzielle Niedergang nicht nur im Zentrum – auch z.B. an der Unteren Konstanzerstrasse! – markant. Bevor neue verkehrstechnische Anordnungen getroffen werden ist somit eher die Frage zu stellen, „was es braucht“, um eine Stadtmitte/ein Stadtgebiet mit Laufkundschaft zu bevölkern, wie also die Attraktivität auf breiter Ebene zu steigern wäre. Erst dann kann abgewogen werden, wie weit sich das verkehrstechnisch auswirkt, wo zum Beispiel sogar weitere Parkplätze, Parkhäuser zu erstellen sind, welche Zufahrten zum Stadtzentrum offen zu halten wären, um die Erreichbarkeit dieser innerstädtischen Wirtschaftszone zu gewährleisten, ob sogar „autofrei“ passt, usw. Dass der Öffentliche Verkehr dabei ebenso seine Rolle zu spielen hat, ist gegeben. Nicht zuletzt in Anbetracht der bekannten „Hindernisse“ durch einen starken Franken, sowie eine attraktive Nachbarschaft im Euroraum (!), ist die Aufgabe einer Stadtraumbelebung schon grundsätzlich sehr komplex. Dabei ist auch zu erörtern, welche „Fehler“ stadtintern zur heute ungünstigen Situation beigetragen haben könnten. Nicht alles, was beklagt wird, hat seinen Ursprung anderswo. Für Kreuzlingen kann sich die Frage stellen, ob eine übliche Kommerzialisierung, wie sie in vielen Städten „abgeht“, auf Dauer im Zentrum überhaupt zweckmässig anzusiedeln ist, wenn bereits am Stadtrand in Einkaufszentren „viel Masse“ abgeschöpft wird (eben „optimal autotauglich“!), oder ob es vielleicht sinnvoller sein kann, sich mehr auf ein „savoir-vivre“ zu konzentrieren, um sich so als Stadt zu profilieren. Es bedingte eine kulturelle Ausrichtung breitester Art – von attraktiven Restaurants und Kaffees bis zu Theater, Kino, Kunsträume, Spezialgeschäfte (die Banken sind schon da!), usw. Der Möglichkeiten wären viele. Und alles eingebettet in eine grosse, attraktive, überraschende Grünumgebung mit vielen Blumen, Bäumen, sprudelndem Wasser und dergleichen (inklusive zentrales Stadthaus!). Einfach unverwechselbar. Und im Hintergrund lauerte bekanntlich das „Karussell“ als grosses kommerzielles Angebot zum Vorbeischauen. Alles Utopie? Dann ja, wenn „Mut“ fehlt, die Zukunft mal in eine andere Richtung auszuloten, wenn Authentisches neben einem voll kommerzialisierten Einheitsbrei der meisten Städten keinen Platz haben soll. Den „umstrittenen Boulevard“ als aussergewöhnliche Chance zu erkennen ist notwenig. Hierauf ist der Fokus zu richten. Nicht simpel auf „Streit“ über Autos.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert