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Freispruch in Trinker-Tragödie

Kreuzlingen/Tägerwilen – Der Wirt aus Tägerwilen, der 2011 seine Freundin erschlagen haben soll, wurde freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte neun Jahre Haft wegen vorsätzlicher Tötung gefordert.

(Bild: Archiv)

(Bild: Archiv)

In Tägerwilen ist die Welt noch in Ordnung. Doch hinter den Kulissen einer prosperierenden Gemeinde tun sich menschliche Abgründe auf. Der Fall, welcher am Montag am Bezirksgericht Kreuzlingen begann, wurde 2011 auch als «Mord im Waldhorn» durch die Presse bekannt. Der Prozessauftakt warf Licht auf ein Drama im dörflichen Alkoholikermilieu.

Die Fakten: Am 28. Oktober um 9.57 Uhr ging ein Notruf aus Tägerwilen ein. Angerufen hatte der Beschuldigte, er gibt an, seine Partnerin habe sich bei einem Treppensturz verletzt. Als die Sanitäter wenig später am Tatort eintreffen, finden sie die Leiche der Frau im Bett. Die Leichenstarre war bereits eingetreten.

Wie kam es dazu?
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Beschuldigten vor, seine Partnerin im Streit erschlagen zu haben. «Schlicht und einfach: Er prügelte sie tot», lautet die Zusammenfassung. Die Tat sei bei einem Streit im Treppenhaus passiert. Der Mann sei von seinen Lebensumständen überfordert gewesen und es sei denkbar, dass er die schwer alkoholkranken Frau habe loswerden wollen.

Dabei war der Mann selbst kein Kostverächter. Nach einer durchzechten Nacht im eigenen Lokal hatte er bei einer seiner Mitarbeiterinnen genächtigt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass ihn die eifersüchtige Freundin am nächsten Morgen im Treppenhaus zur Rede stellen wollte. Da soll der Beizer ausgerastet sein. Der zum Tatzeitpunkt 57-Jährige soll die 45-Jährige hingeworfen, ihren Kopf gegen den Boden geschmettert und auf sie gesprungen sei. Mit Schlägen und Tritten habe er sie malträtiert. Als «stumpfe Gewalt» und «Overkill» beschreibt die Staatsanwältin das brutale Vorgehen.

Schwerste Verletzungen
Das Opfer erlitt unter anderem eine so schlimme Abschürfung in Gesicht, dass sich ihre rechte Augenbraue fast komplett löste und «in den Teppichfasern parallel zur Wand neben dem Radiator hängen blieb». Die Obduktion ergab, dass die Frau an ihren schweren inneren Verletzungen innerhalb weniger Minuten verstorben sein muss. Sie erlitt unter anderem doppelte Seitenrippenbrüche, einen massiven Leberriss und eine Leberquetschung.

Diese Verletzungen seien unmöglich die Folge eines Treppensturzes, was auch ein Gutachten des Rechtsmedizinischen Instituts St. Gallen bestätigte.

Statt sich um Hilfe für das Opfer zu kümmern, habe der Mann sogleich alles versucht, um die Tat zu vertuschen. Er soll die Frau hoch ins Bett getragen haben, danach seine blutigen Kleidungsstücke in die Waschmaschine gesteckt und Blutspuren im Treppenhaus beseitigt haben. Erst als die Wäsche fertig war, habe er den Notarzt gerufen und dazwischen die ersten Gäste unten in der Wirtschaft bedient.

Verteidiger forderte Freispruch
Der geschiedene Gastronom indes streitet die Tat ab, sein Verteidiger fordert vollumfänglichen Freispruch. Die Partnerin wäre an Verletzungen gestorben, die sie sich bei Stürzen selbst zugezogen habe. Weil die Frau starke Alkoholikerin war, sei so etwas nicht selten passiert. Als er sie am Morgen im Bett verletzt vorgefunden habe, soll sie ihm verboten haben, einen Krankenwagen zu rufen, sagt der Mann vor Gericht. Er habe ihre Wunden abgetupft und sich dann ums Geschäft gekümmert. Erst als sich ihr Zustand verschlechterte, habe er den Notruf getätigt.

«Ich habe viel mitgemacht mit dieser Frau», gibt der Angeklagte bei seiner Befragung zu Protokoll. Aber er habe zu ihr gehalten. Dabei spricht er mit leicht heiserer Stimme und wirkt unbeholfen.

«Der Zustand der Frau war desolat», sagt sein Verteidiger. Die Behauptungen der Staatsanwaltschaft würden sich «auf dünnem Eis» bewegen, weil die Verletzungen sehr wohl von Stürzen herrühren könnten. Dem Beschuldigten seien 20000 Franken Verdienstausfall für die 93 in U-Haft verbrachten Tage und 18600 Franken Genugtuung zu zahlen.

Als Zeuge wurde neben der Frau, mit der der Mann laut Staatsanwaltschaft eine Affäre gehabt haben soll, auch der Hausarzt der Toten geladen. Dieser hatte sie immer wieder wegen Stürzen behandelt, Hinweise auf Schläge habe es nie gegeben. Der Arzt bestätigte die schwere Alkoholkrankheit des Opfers und berichtete von erschütternden Zuständen, sogar von Zwangseinweisungen und Wohnungsaufbrüchen ist die Rede. Die Frau sei immer wieder in ärztlicher Behandlung gewesen, habe Entziehungskuren gemacht, gefolgt von kurzen, enthaltsamen Phasen und darauffolgenden Rückfällen.

Der Arzt könne sich nicht vorstellen, dass der Angeklagte zu so einer Tat fähig sei.

Laut Obduktion hat das Opfer 3,6 Promille Blutalkoholgehalt gehabt, als es verstarb. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt zwei Promille gehabt hat.

Auf Antrag der Verteidigung wurde der Prozess zweigeteilt. Das Gericht wird zuerst die Schuldfrage allein klären. Sollte der 59-Jährige schuldig gesprochen werden, wird es eine zweite Verhandlung geben, um das Strafmass zu klären.

Dies wurde jedoch hinfällig, nachdem das Urteil verkündet wurde. Das Gericht sprach den Mann von der vorsätzlichen Tötung frei. Das Gericht könne nicht mit Sicherheit sagen, ob sich die Tat so wie von der Staatsanwalt aufgezeigt zugetragen habe. Die Indizienkette der Staatsanwaltschaft stütze sich zu stark auf Vermutungen und liessen sich nicht Zweifelsfrei verbinden. Deshalb komme der Grundsatz «in dubio pro reo» zum Zuge – im Zweifel für den Angklagten.

Die Richterin begründete ihr Urteil dann auch unaufgefordert: «Das Gericht weiss nicht was in der Tatnacht passiert ist und sieht Widersprüche in den aufgezeigten Beweisen.» Die Gutachten schliessen die Todesursache durch einen Treppensturz zwar aus, einen anderen Tathergang als die vorsätzliche Tötung könne dennoch nicht ausgschlossen werden. Auch könnten mit den Blutspuren und Verletzungen der zeitliche Ablauf nicht wie von der Staatsanwaltschaft aufgezeigt rekonstruiert werden. Bei einem Schuldspruch könne sich das Gericht nicht auf Wahrscheinlichkeiten berufen.

Der Angeklagte nahm den Freispruch regungslos entgegen. Er erhält 20000 Franken für den Verdienstausfall für die 93 in U-Haft und 9300 Franken Genugtuung. Die Staatsanwaltschaft hielt fest, dass das Gericht den Anträgen der Staatsanwaltschaft nicht gefolgt ist und sie nun die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Danach würden sie entscheiden ob Berufung gegen das Urteil eingelegt wird.

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