«Liberale Frau» gegen «Mitte-Mann»
Kreuzlingen – Am übernächsten Wochenende wird das Amt des Bau-Stadtrats besetzt. Zur Wahl stehen Barbara Jäggi-Gretler (FDP) und Ernst Zülle (CVP). Wir luden die beiden Kandidaten zum Schlagabtausch ins Restaurant Besmer ein. Thema waren unter anderem die abgelehnten Steuersenkungsanträge an der vergangenen Gemeinderatssitzung.

Barbara Jäggi-Gretler und Ernst Zülle (m.) haben zum Thema Steuersenkungen verschiedene Ansichten. (Bild: ek)
Die Anträge von FDP und Freier Liste hatten keine Chance. Während Barbara Jäggi voll hinter der Parteilinie der FDP steht, vertritt Ernst Zülle eine dezidiert andere Meinung.
Ernst Zülle: Ich bin nicht generell gegen eine Steuersenkung, vor allem wenn es finanziell gut läuft, und das tut es. Beispielsweise haben wir momentan keine Nettoverschuldung. Der Finanzplan sieht allerdings bis 2018 eine Verschuldung von 30 Mio. Franken vor (ohne Schwimmhalle). Jetzt die Steuern zu senken, das wäre nicht weitsichtig. Es würde alle Investitionen der nächsten Jahre blockieren. Steuergelder zu verwenden, um Fremdkapital zu finanzieren, und noch mehr auszugeben, weil man die Steuern gesenkt hat, ist ein Fass ohne Boden.
Barbara Jäggi: Das sehe ich anders. Das Nein zur Schwimmhalle darf nicht einfach ignoriert werden. Einen Überschuss von 2,35 Millionen Franken einzustecken, ohne die Steuern zu senken, weckt Begehrlichkeiten. Dies im Hinblick auf zukünftige Projekte zu tun, beispielsweise dem Stadthaus, von dem man nicht weiss, ob es überhaupt angenommen wird, ist nichts anderes als Geld auf Vorrat einziehen. Und wer Geld hat, dem werden Wünsche angetragen, denen man nicht unbedingt Folge leisten muss. Die Steuern sollten um vier Prozent gesenkt werden, auf 66 Steuerprozente.
KreuzlingerZeitung: Vier Prozent Steuersenkung sind für den einzelnen Bürger nicht viel. Wäre das nicht ein rein symbolischer Akt?
Jäggi: Jein. Denn jeder noch so kleine Betrag, den jeder einzelne für sich selber ausgeben kann, kurbelt die Wirtschaft an. Auch auf dem eigenen Sparkonto ist das eigene Geld am richtigen Platz. Da müssen wir den Stimmbürgern und allen Einwohnern von Kreuzlingen das Recht zugestehen, über ihr Geld selbstständig zu entscheiden. Wenn es dann so weit ist, werden diese auch bereit sein, ihre Kassen für bestimmte Projekte wieder zu öffnen.
Kann man denn so argumentieren: Stadthaus oder Steuersenkung?
Zülle: Nein, denn auch wenn der Neubau abgelehnt wird, müsste das alte Stadthaus saniert und erweitert werden. Mindestens 20 Millionen müssen so oder so investiert werden. Daneben warten weitere Investitionen, zwingende. Deswegen ist eine Steuersenkung nicht drin. Und auch, weil wir Unbekannte in der Rechnung haben: Die Sozialleistungen werden steigen und wir wissen nicht, wie gross die Zuwanderung ausfällt. Auch wird mit dem Budget kein Geld zum Fenster hinaus geschmissen, das beweisen die fehlenden Sparanträge in der Diskussion.
Jäggi: Ich bin nicht gegen das Stadthaus. Aber der Nutzen, den die Bürger davon haben, müsste noch stärker, transparenter kommuniziert werden, sonst stehen die Chancen schlecht.
Mit dem «Mitte-Mann» und der «liberalen Frau» stehen sich zwei gegenüber, die keine so unterschiedlichen Positionen vertreten wie es viele gerne darstellen wollen.
Herr Zülle, sind Sie denn gewerbefeindlich?
Zülle: Ich setze mich beruflich sehr für das Gewerbe ein. Wenn es dem Gewerbe gut geht, geht es auch den Arbeitnehmern gut. Dieses «Rechts-Links-Schema» ist eine Klamotte. In Kreuzlingen wird eine sehr ausgewogene Politik betrieben. Ich sehe mich als «Politiker der Mitte», ich setze mich für das Gewerbe, für die Arbeitnehmerschaft und für die Rentner ein. Ausserdem bin ich in einer bürgerlichen Partei.
Frau Jäggi, haben Sie keine soziale Ader?
Jäggi: Sehr wohl, und mein Herz schlägt für das Gewerbe und für Kreuzlingen. Ich bin eine liberale Frau, habe mich aber auch immer für soziale Belange eingesetzt. Beispielsweise war ich bei der Organisation des Spielgruppenvereins beteiligt, ich war in der Kirchenvorsteherschaft tätig oder im OK des Seenachtsfests.
Zu grossen Teilen ist eine Stadtratswahl auch eine Persönlichkeitswahl. Muss man sich da eher durchsetzen oder eher zuhören können?
Jäggi: Ich denke beides. Der Stadtrat ist ein Führungsgremium und gleichzeitig Kollegialbehörde, die miteinander Entscheide fällt, die dann miteinander nach aussen getragen werden. Diesen Spagat muss man beherrschen und dabei authentisch bleiben.
Zülle: In der Exekutive muss man vertreten, was die Mehrheit der Exekutive beschliesst. Aber ein Stadtrat muss sich auch durchsetzen können gegenüber anderen Behörden, gegenüber Firmen, gegenüber Interessengemeinschaften. Man muss auch Niederlagen einstecken können und trotzdem weiter nach vorne schauen.
Weil Thomas Beringer seine Kandidatur zurückgezogen hat, stehen die Chancen für Barbara Jäggi beim zweiten Wahlgang besser.
Herr Zülle, Sie gingen als Favorit ins Rennen, wurden auch bestätigt. Müssen Sie sich nun Sorgen machen?
Zülle: Gar nicht, aber ich nehme es sehr ernst und habe Respekt. Mir war klar: Zurücklehnen und mich auf meinen Lorbeeren ausruhen darf ich nicht. Durch den zweiten Wahlgang gibt es eine neue Ausgangslage, es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Meine Prognose ist, dass es sehr knapp ausgeht.
Frau Jäggi, haben Sie damit gerechnet, dass Thomas Beringer seine Kandidatur zurückzieht?
Jäggi: Wir haben darüber geredet, je nachdem wie das Resultat ausgeht. Denn wir haben ganz klar beim anderen im Garten gegraben was die Stimmen betrifft. Aber das hat mich dann doch überrascht, dass er so schnell zurückzog.
Hat „Liberal“ mit „Mitte“ nichts mehr zu tun? Ist „Zülle“ gar ein versteckter „Linker“, wie „SVP-Herzog“ posaunt? Fragen über Fragen. Anzumerken wäre noch, dass die verbliebenen Protagonisten die Schwimmhalle befürwortet hatten. Die Trauer scheint sich in Grenzen zu halten.