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«Regieren heisst Vorausschauen»

Kreuzlingen – An der Podiumsdiskussion vom Mittwochabend trafen Befürworter und Gegner des geplanten Stadthaus-Neubaus auf der Festwiese öffentlich aufeinander. Unter den rund 220 Gästen schienen erstere in der Überzahl zu sein.

Zahlreiche Voten aus dem Publikum (hier: Gerda Imesch) gab es am gut besuchten Podium zum Neubau des Stadthauses. (Bild: Emil Keller)

Zahlreiche Voten aus dem Publikum (hier: Gerda Imesch) gab es am gut besuchten Podium zum Neubau des Stadthauses. (Bild: Emil Keller)

Ein gewisses Ungleichgewicht konnte auch auf der Bühne ausgemacht werden. Mit Hilfe von Unternehmer Jürg Kocherhans und Nationalrat Christian Lohr verteidigte Stadtpräsident Andreas Netzle die Baupläne. Moderator Markus Thalmann, Gemeindepräsident von Tägerwilen, leitete die Diskussion mit Verve und Humor. Dass er dem «grossen Bruder» Tägerwilens ein neues Stadthaus gönnt, trat an mehreren Momenten des Abends unverhohlen an die Oberfläche. Warum sie am 27. November ein Nein in die Urne legen wollen, erklärten Kantons- und Gemeinderat Beat Rüedi und der pensionierte Architekt Paul Stähli.

Verärgerter Detailhändler: David Betschart. (Bild: ek)

Verärgerter Detailhändler: David Betschart. (Bild: ek)

An drei Stellen des Abends brandete Applaus auf, das erste Mal nach der Einführung. Stadtpräsident Netzle bewies mit seinem Vortrag, wie sehr ihm das Projekt, bestehend aus Stadthaus, Tiefgarage und Festwiese, am Herzen liegt. Man dürfe sich nicht in Kleinkriegen über Details verzetteln, sondern solle das Gesamtpaket beurteilen, riet er den Anwesenden: «Das Stadthaus ist ein Haus für Sie alle. Mit einer sehr langen Lebensdauer, weil vorausschauend geplant wurde.» Er wies ausserdem darauf hin, dass es sich um das zweitgünstigste Projekt des Architekturwettbewerbs handelt und wie Vor- und Spezialfinanzierungen den Gesamtpreis drücken: «Die Tiefgarage etwa kostet Sie als Steuerzahler keinen Rappen», versicherte er. Für ihn gilt: «Regieren heisst Vorausschauen.» Denn die grosszügige Raumplanung und das Reservesystem machen das Stadthaus zum «Generationenprojekt». «Es gibt keinen besseren Ort für ein neues, sichtbares Kreuzlinger Zentrum», ergänzte Stadträtin Dorena Raggenbass. Durch eine sinnvolle Nachnutzung der bestehenden Verwaltungsgebäude erwartet sie sich zusätzliche Impulse für die Stadtbelebung.

Ganz schön gaga: "Wieviel Geld zahlt die Stadt eigentlich an Nationalrat Lohrs Verein für die Propaganda?" wollte ein anonymer Fragesteller wissen. (Bild: ek)

Ganz schön gaga: «Wieviel Geld zahlt die Stadt eigentlich an Nationalrat Lohrs Verein für die Propaganda?» wollte ein anonymer Fragesteller wissen. (Bild: ek)

Reife Äpfel muss man pflücken
Christian Lohr will als Bürger für seine Stadt Verantwortung übernehmen und setzt sich deswegen als Präsident des Vereins «Lebendiges Kreuzlingen» für das Stadthaus ein. «Das Projekt ist reif», sagte er. «Es wurde lange und seriös geplant. Der Bedarf ist ausgewiesen.»

«Das Projekt ist zu gross, zu teuer und vielleicht am falschen Ort», ist hingegen Paul Stählis Meinung. Er gab an, über 30 Argumente gegen das Vorhaben gesammelt zu haben und nannte unter anderem das Erscheinungsbild, den Grundriss und ein fehlendes Verkehrsregime «fragwürdig».

In Jürg Kocherhans’ Brust schlagen drei Herzen, die ihn zum Befürworter machen: «Als Bürger möchte ich Kreuzlingens Attraktivität steigern. Als Unternehmer kann ich kein Flickwerk, wie die bestehenden Verwaltungsgebäude, akzeptieren.» Und als Präsident des Arbeitgeberverbandes begrüsst er, wenn die Öffentliche Hand Aufträge ans Gewerbe vergibt.

Beat Rüedi hingegen wirbt für ein Nein an der Urne. Dann könne ein besseres Projekt erarbeitet werden. Auch sei die finanzielle Situation derzeit nicht so rosig, wie das manche weismachen wollten. Rüedi stellt das Ansinnen eines zentralen Verwaltungsgebäudes grundsätzlich in Frage. «Es gab immer nur eine Richtung, in die geplant wurde: Zentralisierung», bemängelte er. Er hätte sich eine Alternative gewünscht. Denkbar wäre für ihn, dass Bauverwaltung und Sozialamt in ihren Liegenschaften bleiben und an der Marktstätte ein Neubau entsteht.

«Heute wird zusammengearbeitet», entgegnete daraufhin Stadtpräsident Netzle sichtbar empört. Er wies auf die vielen Berührungspunkte zwischen den einzelnen Büros hin. «Seit 30 Jahren ist ein solches Gebäude der Wunsch». Mehrere Anläufe seien bereits unternommen worden, Planungskosten von rund 1,5 Millionen Franken über die Jahre aufgelaufen.

Klare Bildsprache beim Vortrag des Stadtpräsidenten: "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt." (Bild: ek)

Klare Bildsprache beim Vortrag des Stadtpräsidenten: «Jetzt ist der richtige Zeitpunkt.» (Bild: ek)

Die unendliche Geschichte
Aufgrund eines Inserats des Kreuzlinger Detailisten David Betschart in der Thurgauer Zeitung wurde die Tiefgarage dann vertiefter diskutiert. Betschart will die Vorlage ablehnen, weil ihm das Parkhaus zu klein geraten ist. Er sieht sich als Detaillist von der Stadtbehörde allein gelassen, der er hinsichtlich der Verkehrspolitik Gewerbefeindlichkeit vorwirft. Das konnte Stadtpräsident Netzle so nicht stehen lassen. Die neue Tiefgarage erhalte zwar nur wenig mehr Parkfelder als der heutige Bärenplatz, dafür würden an der Marktstrasse 40 Felder frei. Gesamthaft gebe es im Zentrum 900 Parkplätze. «Das Parkhaus des Ceha ist direkt um’s Eck und steht meist leer. Wir haben natürlich eine grössere Tiefgarage geprüft, aber wir müssen uns an den Mittel- und nicht den Spitzenwerten orientieren, sonst schaffen wir Überkapazitäten», so Netzle.

In der Publikumsdiskussion meldeten sich Bürger zu Wort, die zumeist bereits als Leserbriefschreiber in Erscheinung getreten waren. Vor allem der Standort ist der Opposition trotz aller Gegenargumente immer noch ein Dorn im Auge.

Zwei Mal Applaus gab es für die Aussagen von Gerda Imesch und Gerhart Lehmann. «Wenn wir das ablehnen, dann wird es sehr lange dauern, bis eine erneute Chance kommt», sagte Imesch. Der alt Stadtrat erinnerte an die knappe Abstimmung 1958 über den Kauf des Seeburg-Areals. Heute sei der Park ein Markenzeichen und nicht mehr wegzudenken. Ein solches solle das Stadthaus auch werden.

Kommentar: Vertauschte Rollen
Die Diskussion erinnerte an 2014, als man um die Schwimmhalle kämpfte. Nur waren damals die Seiten vertauscht: Paul Stähli sass im Pro-Komitee und stand dem Verein «Freunde der Schwimmhalle» vor. Einer der Wortführer der Opposition war Jürg Kocherhans. Stähli bekam von dieser Seite ungefähr genau das zu hören, was er heute gegen das Stadthaus ins Felde führt: Zu gross, zu teuer, vielleicht am falschen Standort. Ein bescheideneres Projekt würde es auch tun – das sagten die Schwimmhallen-Gegner damals zu Beat Rüedi. Keine vier Tage nach der Ablehnung beantragte die FDP eine Steuersenkung. Heute, nach der Steuerfussreduktion, beurteilt er die finanzielle Situation als zu heikel, um in das Stadthaus zu investieren. So viel zu den irritierenden Momenten des Abends. Die Gegner hatten jedenfalls das ein oder andere überraschende Argument. Die Begründungen der Befürworter wirkten dafür schlüssiger. Ein leichter Gang an der Urne wird es trotzdem nicht, obwohl sich so viele bekannte Persönlichkeiten hinter das Projekt stellen.

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2 thoughts on “«Regieren heisst Vorausschauen»

  1. Bruno Neidhart

    Es ist daran zu erinnern, dass 1958 zwar das Original-Seeburgparkgelände angekauft wurde, der Stadtrat jedoch das südliche, an das Schloss angrenzende Arboretum 1962/63 gleich wieder mit drei Hochäusern, weiteren Wohnblocks, sowie einem Supermarkt verbauen wollte! Sämtliche Parteien waren damals für eine Überbauung! Die Stimmbürgerinnen/Stimmbürger waren indes schlau genug, diesen Unsinn nicht durchgehen zu lassen. Auch jetzt geht es wieder um das Freihalten einer historisch stadtbildenden Fläche. Was tun? Sofortige Entwickeln eines zentrumswirksamen, offenen, modernen Stadthauses am jetzigen Standort. Es geht um mehr als einen „Bedarfsausweis“ (Lohr). Es geht im Kern zukünfig darum, die Stadt imitten des urbanen Zentrums attraktiv zu repräsentieren, der dortigen Geschäftswelt, den Einheimischen und Besuchern (Käufern!) ein kräftiges Zeichen zu geben: Hier sind wir! Wir laufen nicht davon! Dabei muss nicht alles „zentralisiert“ werden, wie richtigerweise bemerkt wird (Rüedi). Die Stadt wächst. Es wird sich immer wieder eine Situation ergeben, bei der zu überlegen ist, wo, was und wie unterzubringen wäre. Es gibt den „Schluss-Stein“ gerade nicht! Aufmunternd noch festgestellt: „Die Tiefgarage kostet Sie als Steuerzahler keinen Rappen“ (Netzle). Zu fragen ist, wie dieser Satz interpretiert werden könnte! Hier wird „Regieren heisst Vorausschauen“ (Netzle) zu einem monetären Zauber- und Rätselspiel.

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    1. schiesser

      Netzles Spruch zur Finanzierung der Tiefgarage ist natürlich Unsinn. Denn den Bau haben die Steuerzahler ja erst einmal vorfinanziert. Das Geld dafür, das derzeit auf „der hohen Kante liegt“, ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern aus Rechnungsüberschüssen geäufnet worden. Diese wiederum entstanden durch Steuerzahlungen. Wenn sich die Tiefgarage langfristig selbst trägt: umso besser. Wobei man ja schmunzelnd feststellen kann, dass sich die finanziellen Verhältnisse rund um die Tiefgarage in den letzten zwei, drei Jahren anscheinend markant verbessert haben. In der Botschaft, mit der dem Gemeinderat (und der Öffentlichkeit) ursprünglich der Neubau auf dem Bärenplatz statt an der Marktstrasse schmackhaft gemacht wurde, war noch von jährlichen Einnahmen durch die Bewirtschaftung der Tiefgarage von 1 Mio. Fr. bei jährlichen Kosten von rund 700’000 Franken die Rede. Laut Abstimmungsbotschaft nimmt man nun schon 1,5 Mio. ein und muss nur 618’000 ausgeben. Da die Finanzen rund um die Tiefgarage so positiv gesehen werden, stünde ja auch einem gesonderten Bau – ohne Stadthaus – nichts im Wege: das Ziel den Bärenplatz autofrei zu bekommen, wäre so zu erreichen, der Schlammschloch-Parkplatz bei Veranstaltungen im Dreispitz wäre auch beseitigt und die Stadt würde erst noch Geld verdienen (und müsste den Bau deshalb nicht an eine Privatgesellschaft abgeben).

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