«Man muss mit offenem Visier kämpfen»
Kreuzlingen – Stadtpräsident Andreas Netzle findet im Interview klare Worte zu den jüngsten Kampagnen der Stadthaus-Gegner. Seit Mitte voriger Woche erscheinen in den lokalen Medien Inserate – einige davon anonym, unklar bleibt, wer hinter diesen steckt. Nein-Plakate eines Geschäftsmanns hängen in ganz Kreuzlingen.
Herr Netzle, herrscht in der Stadt ein Klima, in dem sich die Bürger nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äussern?
Andreas Netzle: Warum gewisse Gegner anonym bleiben, weiss ich nicht. Alle Befürworter stehen mit Namen zu ihrer Meinung.
Die Gegner kritisieren, es werde regelrecht «Propaganda» betrieben …
Wenn Gegenargumente fehlen, kommt man gerne mit dem Vorwurf von «Hochglanzbroschüren». Blödsinn! Da glänzt überhaupt nichts und wir haben das dünnste Papier genommen, das in so einem Fall möglich ist. Zu jeder Vorlage gehört die umfassende Information für den Stimmbürger. Das ist unsere Pflicht und geschah mit dem üblichen Aufwand.
Wenig transparent ist hingegen, wenn Bürger anonym Inserate schalten. Ist nicht der Sinn eines Komitees, Namen hinter sich zu versammeln?
Wer nicht zu seiner Meinung steht, ist für mich nicht fassbar und geniesst wenig Wertschätzung. Ein Abstimmungskampf ist wichtig und richtig, aber man muss mit offenem Visier kämpfen. In unserer demokratischen Kultur ist ein solches Vorgehen fragwürdig. Das ist schlechter Stil.
Wie begegnen Sie schweren Vorwürfen wie dem, der Stadtrat sei «gewerbefeindlich»?
Das ist doch absurd. Das Gewerbe steht hinter dem Projekt Stadthaus. Die Plakatkampagne, die diesen Vorwurf erhebt, wurde von Herrn Betschart losgetreten, weil er persönlich das Gefühl hat, die Parkierungsmöglichkeiten seiner Kunden werden eingeschränkt. Dann soll er das aber auch so sagen. Was die Anzahl der Parkplätze angeht, hätte ich gerne mit ihm geredet, ihm erklärt, wie das zustande gekommen ist. Warum 250 auch mit seinen Bedenken richtig sind. Aber er schaltete Inserate ohne vorgängiges Gespräch.
Sie hätten den Dialog gesucht …
… und versucht, reinen Behauptungen mit Argumenten zu begegnen. Es gibt Ladenbesitzer, die meinen, dass Parkplätze und Verkehr gleichbedeutend sind mit geschäftlichem Erfolg. Doch unsere Stadt befindet sich im Umbruch und in einer Entwicklung. Wir müssen den Autoverkehr substituieren durch ÖV und Langsamverkehr. Ausserdem schaffen wir ja neue Parkplätze – nur nicht direkt an der Hauptstrasse.
Parkplätze, immer wieder. Verlieren Sie da nicht irgendwann die Geduld?
Das ist Abstimmungskampf. Es ist erlaubt, dass sich jeder äussert, solange es nicht ehrverletzend ist. Man darf irgendetwas behaupten. Es muss nicht einmal stimmen. Wir müssen aushalten, dass einige eine total andere Meinung haben und denselben Sachverhalt genau umgekehrt sehen. Es ist am Schluss Sache der Befürworter, mit ihren Freunden und Bekannten, die dagegen sind, über das Projekt Stadthaus zu diskutieren.
Begründetere Argumente, etwa die Standortfrage, hätte man die nicht zu einem früheren Zeitpunkt ein für alle Mal klären können?
Das Abwägen der beiden Standorte ist erfolgt. Der Gemeinderat behandelte das Thema, wir haben den Entscheid bewusst dort abgeholt. Es gab Studien, über die wir öffentlich informierten. Wir haben nie gesagt, Marktstrasse wäre nicht möglich. Aber es wäre die schlechtere Lösung. Warum sollen wir eine schlechtere Lösung vorschlagen?
Dann gibt es die Kosten. Als das «Impulsprogramm Xentrum» 2011 vorgestellt wurde, gab es eine erste Einschätzung für alle drei Xentrums-Projekte zusammen von 50 Millionen. Warum wird eigentlich immer alles teuerer?
Am Anfang waren die Projekte noch nicht ausgearbeitet, die Kosten ganz grobe Schätzungen. Dann werden ja auch der Bedarf und die Nutzungen an die Bedürfnisse angepasst. Je genauer die Planung, desto präzieser die Schätzung. Das ist auch beim Bau eines Privathauses so..
Ob der kleine Mann Verständnis dafür hat, ist eine andere Frage …
Entscheidend ist doch, transparent auszuweisen, welchen Nutzen die Allgemeinheit am Ende für den finanziellen Einsatz erhält. Und nicht der Prozess, wie die Lösung zustande kam. Was habe ich am Schluss, und stehen die Kosten in einem gesunden Verhältnis zum Nutzen?
Die Allgemeinheit erhält ein grosses, zentrales Verwaltungsgrbäude. Und schon kommen wieder Kritiker und bemängeln: zu viel des Guten.
Das ist ein merkwürdiger Vorwurf. Richtig wäre, uns zu kritisieren, wenn wir keine Reserve geplant hätten. Es ist doch logisch, dass wir vorausschauend planen, sodass wir nicht schon in naher Zukunft wieder Bereiche auslagern müssen. Darum haben wir ein abgestuftes Reserveprogramm, mit dem wir flexibel sind, und so versprechen können, dass für die nächsten Jahrzehnte alles an einem Ort bleibt.
Oder der grassierende Leerstand. Warum ein so grosses Stadthaus bauen, wenn so viele Büros nicht besetzt sind?
Wenn wir jedes Büro, das leer steht, füllen wollten, wären wir über die ganze Stadt verteilt. Jede Firma möchte unter einem Dach zusammenarbeiten. Heute wird viel vernetzter gearbeitet, auch deswegen ist das nötig.
Es wird auf jeden Fall spannend. Was werden Sie in den letzten Tagen vor der Abstimmung unternehmen?
Ich nehme jede Möglichkeit war, mit Bürgern zu diskutieren, egal, ob Gegner oder Befürworter.
Wie ist ihr Gefühl?
Prognosen stelle ich grundsätzlich nicht mehr. Dennoch glaube ich fest daran, dass sich diejenigen durchsetzen werden, die positiv denken und sich für eine zukunftsgerichtete Entwicklung in Kreuzlingen einsetzen wollen.
Es denken doch nicht nur „die“ positiv, welche das Projekt als Ganzes für „falsch“ halten. Die „Falschen“ haben vielleicht noch im verstärkten Sinn Interesse an einer – modernen! – „zukunftsgerichteten Entwicklung in Kreuzlingen“. Betrifft besonders das darbende Geschäftszentrum. Eine Stadt ohne „lebendiges Zentrum“ ist keine Stadt. Allenfalls eine Schlafstadt. Kreuzlingen kann mehr!