KESB – Der Vorsorgeauftrag: Im Ernstfall nicht alleine
Region – Unfälle und Erkrankungen können das Leben von einer Minute zur anderen verändern. Wenn eine Person entscheidungsunfähig wird, sind viele Bereiche betroffen. Mit einem Vorsorgeauftrag lässt sich festhalten, wie die Pflege und die Verwaltung von Vermögen gehandhabt werden soll. Liegt dieser vor, können sehr oft Massnahmen der KESB, die meist mit zusätzlichem Aufwand und Kosten verbunden sind, vermieden werden.

(Symbolbild: Rainer Sturm/pixelio)
Alice Howland ist Anfang 50, als sie bemerkt, dass ihr Gedächtnis nicht mehr funktioniert. Sie ist Professorin für Linguistik, am Höhepunkt ihrer Karriere, Mutter von drei Kindern und führt ein wunderbares Leben. Eines Mittag findet sie beim Joggen den Weg nach Hause nicht mehr – auf einer Strecke, die sie jeden Tag läuft. Ein befreundeter Arzt hat schnell eine Diagnose gefunden: Alzheimer. Die Krankheit verläuft bei jedem anders. Alice ist innerhalb von wenigen Monaten nicht mehr dazu in der Lage für sich selbst zu sorgen. Die Familie ist überfordert. Mit einer solchen Situation hat keiner gerechnet, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Wer soll sich nun um Alice kümmern? Diese Geschichte ist nicht real. Alice ist die Hauptfigur des eindrucksvollen Films «Still Alice», wo sie von Julian Moore dargestellt wird. Gezeigt wird hier ein Schicksal, vor dem niemand gefeit ist. So auch die Familie Becker* (*Namen geändert), welche ein ähnliches Schicksal erlitt: Kurz vor der Pensionierung wurde bei der 62-jährigen Frau eine Form der Demenz entdeckt, die schnell fortschreitet. «Es war ein Schock für uns alle», berichtet der Ehemann, «wir hatten vor uns einen schönen Ruhestand zu machen, doch alles kam anders.» Bis zu ihrem Tod im vergangenen Frühjahr war Frau Becker ein Pflegefall. Innerhalb kurzer Zeit brauchte sie Hilfe beim Anziehen, Waschen, Essen und der Gestaltung ihres Alltags. Ihr Mann, der automatisch zum gesetzlichen Vertreter seiner Frau wurde, war noch im Beruf, die beiden Kinder leben nicht vor Ort. Keiner von ihnen konnte sich angemessen um die sich ständig verändernde Situation kümmern. Ein Vorsorgeauftrag lag nicht vor.
Vom Frisörbesuch bis zur Vermögensverwaltung
Eine Freundin der Familie sprang ein und übernahm die Aufgaben. Sie organisierte Pflegekräfte und Haushaltshilfen, stellte Anträge bei Versicherungen und Behörden und erledigte auch die kleinen Dinge des Alltags, wie zum Beispiel einen Frisörbesuch. «Ohne sie hätten wir es nicht geschafft, ich bin ihr für ihre Mühen sehr dankbar», so Herr Becker. Wenn es dieses freundschaftliche Engagement nicht gegeben hätte, wüsste Herr Becker nicht, wie er die Situation hätte lösen können. Einer fremden Person hätte er seine Frau nur sehr ungern anvertraut. «Erst jetzt ist mir klar geworden, wie wichtig es ist, diese Dinge vorab festzuhalten», sagt der 64-Jährige, «ich habe für mich nun einen Vorsorgeauftrag angefertigt.»
Jeden von uns kann ein solches Schicksal ereilen, zu jeder Zeit. Daher ist es ratsam, sich Gedanken über die Gestaltung einer solchen Situation zu machen. Wer soll mich pflegen? Wer soll meine Finanzen verwalten? Wer entscheidet über medizinische Eingriffe und Massnahmen? Diese Fragen lassen sich in einer Patientenverfügung und einem Vorsorgeauftrag festhalten.
Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung – was ist das?
In der Patientenverfügung wird über lebensverlängernde Massnahmen und medizinische Eingriffe bestimmt, wenn man selbst nicht mehr entscheidungsfähig ist. Dieses Dokument ist für Ärzte bindend. Es gibt aber noch einige weitere Bereiche, die in diesem Rahmen nicht abgeklärt sind: die Personensorge, die Vermögenssorge und die Rechtsvertretung. Diese Aspekte können in einem Vorsorgeauftrag festgehalten werden. Bei der Personensorge geht es um die Frage, wer für mich zuständig sein soll, wenn ich keine Entscheidungen mehr treffen kann. Wer organisiert meine Pflege? Ein Mensch, der seinen Alltag nicht mehr alleine gestalten kann, braucht in verschiedenen Bereichen Unterstützung. Die Organisation von Pflegepersonal erfordert Zeit und Engagement. Wer kann dies für mich leisten? Das sind Fragen, die man im Vorfeld mit Familie und Freunden besprechen kann. Eine geeignete Person lässt sich dann im Rahmen eines Vorsorgeauftrages festhalten. Für den Fall, dass man nicht mehr selbst entscheidungsfähig ist, wird diese Person dann zum gesetzlichen Vertreter. Auch bei finanziellen Vermögenswerten gilt es, diese nicht nur testamentarisch festzulegen, sondern auch schon für den Zeitraum vor dem Ableben, sollte eine Beeinträchtigung vorliegen. Aktienfonds, Immobilien und laufende Verträge müssen professionell verwaltet werden. Hierzu kann man ebenfalls eine Person einsetzen, von der man überzeugt ist, dass sie diese Aufgabe im eigenen Sinne und vertrauensvoll behandelt. Ebenso verhält es sich mit der Rechtsvertretung. Für Steuererklärungen, Mietverträge, Mitgliedschaften und sonstiges ist es sinnvoll einen Vertreter einzusetzen, der diese Bereiche überblickt und regelt, wenn man es selbst nicht mehr kann. Auch individuelle Anliegen lassen sich noch zusätzlich in einem Vorsorgeauftrag festhalten. Wer sollte das Sorgerecht für meine Kinder erhalten? Wer kümmert sich um mein Haustier? Wer verwaltet meine Onlineaktivitäten? Auch das Honorar der eingesetzten Person kann im Vorsorgeauftrag festgelegt werden. Musterverträge, die man einfach ausfüllen kann, erhält man bei der Caritas oder Pro Senectute. Individuell kann man das Dokument auch mit einem Anwalt ausarbeiten. Ein Vorsorgeauftrag ist aber nur dann sinnvoll, wenn er auch gelesen wird. Da sich die meisten Personen nicht mehr daran erinnern können, ein solches Dokument zu besitzen, ist es von grösster Wichtigkeit, dieses nicht in einer Schublade zu verstauen, wo es übersehen werden könnte. Anwälte, Notare und die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB bieten hier ihre Dienste an. Bei letzterer kann man die Dokumente Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung für 150 Franken hinterlegen. Im Fall einer Urteilsunfähigkeit wird der Auftrag geprüft und an die eingesetzte Person weitergeleitet. Liegt kein Vorsorgeauftrag vor, muss die KESB einen Beistand ernennen. Dies ist mit weitaus höheren Kosten verbunden und kann die Selbstbestimmung der urteilsunfähigen Person weniger einbeziehen, wie es vorab möglich wäre. Zur Kontaktaufnahme:
www.kesb.tg.ch