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Wenn der Nachbar zum Problem wird

Kreuzlingen – Die Wäsche hängt zur falschen Zeit, das Fahrrad stört im Hausflur, die Hecke ist zu hoch oder eine Party zu laut – das Konfliktpotenzial für einen Streit mit dem Nachbarn ist vielseitig. Meist lässt sich ein Streit durch eine Entschuldigung und eine Tafel Schokolade wieder beheben. Manchmal aber auch nicht. Ein jahrelanger Kampf um Kleinigkeiten ist die Folge. Was dann?

Wenn man kaum mehr vor die Tür die Tür mag, weil er dort lauert: der Nachbar. (Bild: wolf/pixelio)

«Es ist wie eine Horrorgeschichte», beginnt Ruth Kressler* ihre Ausführungen, «und es ist so lächerlich, mit welchen Kleinigkeiten ich mich beschäftigen muss.» Dann erzählt sie eine Geschichte rund um Waschmaschinen, Hundehaufen, Nacktschnecken und Gartenzäune. «Es klingt alles so bünzlig, aber für mich ist es schlimm. Ich fühle mich in meiner Wohnung nicht mehr Zuhause.» Vor 15 Jahren zog Kressler in die kleine Gemeinde am Bodensee. Nach einem Leben in der Grossstadt war der Gedanke an die Idylle auf dem Land erholsam und befreiend. «Es war so ruhig und freundlich, aber der Schein war trügerisch, wie ich feststellen musste», so Kressler. Sie fand rasch Anschluss an die Nachbarschaft, die Leute grüssten freundlich und kamen mit kleinen Aufmerksamkeiten zu Besuch, die von Kressler erwidert wurden. So lag es für sie nahe, dass sie ihren Hund zu dem benachbarten Ehepaar brachte, wenn sie verreiste oder krank war. Diese freuten sich sehr darüber – eine Erleichterung für die alleinstehende Frau. Doch eines Tages kam der Wendepunkt: «Ich hatte Besuch von einem Freund und der Hund wollte nicht bei den Nachbarn bleiben. Am Abend erhielt ich einen Anruf der weinenden Nachbarin. Sie war zutiefst enttäuscht, dass der Hund sie nicht mehr möge. Für mich war dieser Gefühlsausbruch nicht wirklich nachvollziehbar,» so Frau Kressler. Noch viel weniger versteht sie, was danach geschah. Das freundliche Verhältnis war über Nacht passé. Es folgten Anfeindungen, Verleumdungen und die Verbreitung böser Gerüchte in der Nachbarschaft. Heute geht Kressler kaum mehr vor die Tür. «Ich habe keine Freude mehr an der Wohnung. Meine einzige Hoffnung ist, dass sie einmal für längere Zeit verreisen», so die ehemalige Informatikerin. Die Polizei möchte sie nicht einschalten. Einmal waren Beamte da, als ihr Hausschlüssel auf merkwürdige Art und Weise verschwunden war und Kressler davon ausging, dass auch das eine Schikane der Nachbarn war. Geholfen hat es nichts.

«Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.»  (Friedrich Schiller)

Mediatorin Astrid Lindmar. (Bild: zvg)

Astrid Lindmar ist mit solchen Fällen vertraut. Seit einem Jahr führt sie in Kreuzlingen im Park 31 an der Hafenstrasse 31 Mediationen, Coachings und Systemische Beratungen durch (www.mediatio.ch). Oftmals kommen auch Nachbarn zur Mediation. Warum gibt es häufig Probleme mit dem Zusammenleben, warum führen Streits über alltägliche Kleinigkeiten zu derart heftigen Konflikten? «Es liegt daran, dass man sich Zuhause zurückziehen möchte – my home is my castle – und Bedürfnisse hat wie Geborgenheit, Sicherheit oder Ruhe. Wenn diese dann gestört werden, sind grundlegende Interessen nicht erfüllt und Konflikte können eskalieren», so Lindmar. Sie rät Betroffenen dazu einen Konflikt  frühzeitig zu stoppen, denn wenn die Spirale von Gedanken, Gesprächen und Aktionen erst einmal Fahrt aufgenommen hat, wird es immer schwieriger, wieder daraus auszusteigen. Es ist jedoch nie zu spät, jeder Konflikt kann mit einer guten, gewaltfreien Kommunikation wieder gelöst werden. Ziel der Mediation ist es, einen konstruktiven Lösungsweg aufzuzeigen. Das Hinzuziehen von Vermietern, Anwälten oder der Polizei stachelt einen Streit meist mehr an und verhärtet die Fronten. Im Rahmen der Mediation hingegen wird nach einer Lösung gesucht, die langfristig und nachhaltig funktioniert und es zulässt, dass man sich wieder in die Augen sehen kann. Für Ruth Kressler ist der Weg der Mediation neu. Bislang wusste sie keinen Ausweg. Sie überlegte sogar, ob sie sich ein neues Zuhause suchen solle. Dies wäre aber mit Kosten und viel Aufwand verbunden. «Alles was ich will ist Ruhe», sagt die 63-Jährige.

*Name der Redaktion bekannt

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