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Sein Atem ist die Freiheit

Konstanz – Im Stadttheater Konstanz gibt es in der diesjährigen Freilichtinszenierung auf dem Münsterplatz einen Klassiker aus der Schweiz: «Wilhelm Tell». Premiere ist heute Abend, die Vorstellungen laufen bis Ende Juli. Wir haben vorab eine der Proben besucht, um zu berichten, was man von Friedrich Schillers letztem Drama erwarten darf.

Thomas Fritz Jung gibt im Freilichttheater einen fabelhaften Wilhelm Tell ab. (Bilder: Ilja Mess/Theater Konstanz)

Es ist die letzte Regieführung von Oberspielleiterin Johanna Wehner, die das Haus nach drei Jahren verlassen wird. Die Wahl für ihre letzte Inszenierung am Konstanzer Stadttheater fiel für das Freilichtstück in diesem Sommer auf einen Klassiker: Friedrich Schillers «Wilhelm Tell». Vielleicht ist es ein Zufall, dass das Bühnenbild Wehners ersten Inszenierung in Konstanz, «Das Geisterhaus» von Isabel Allende,  ähnelt? Wohl kaum, denn es ist auch wieder Elisabeth Vogetseder, die hier kunstvoll Parkbänke und Strassenlaternen stapelt und damit wahre Berglandschaften im Urbanen schafft. Die Kulisse des Münsterplatzes mit den gotischen Vorsprüngen und dem Kruzifix an der Wand umrahmt die moderne Installation. Dies lässt sich eins zu eins auf das Stück übertragen, denn auch hier wird Zeitgenössisches mit Historischem kombiniert.

Schräge Kostüme und klassische Sprache

Während die Figuren des Stückes in schrillen Outfits über die Bänke springen, bedienen sie sich nämlich der uneingeschränkt klassischen Sprache Schillers, was am deutlichsten wird, wenn Tells Frau (Natalie Hünig) zu «Hülfe» ruft. Es ist die «bravste Theaterfassung», die Wehner je in ihrem Leben gemacht hat, wie die Regisseurin bezeugt. Inhaltlich wurde nichts umgeworfen, nichts verschoben, nichts verfremdet. Wehner ging es darum, die Prinzipien zusammenzufassen, die in «Wilhelm Tell» enthalten sind. Es geht um eine Darstellung der Gesellschaft, um Gewinner- und Verlierertypen. Zeitweise stehen sie nebeneinander auf der Bühne: Während der Landvogt politische Diskurse führt, sammelt daneben einer Pfandflaschen ein. Dann geht es aber auch um Entscheidungen, die man im Leben treffen muss: Agiere ich politisch oder im Privaten? Zu welcher Gruppe gehöre ich? Wofür schlägt mein Herz?
Konträr werden zwei Lebensentwürfe gegenübergestellt: Wilhelm Tell (Thomas Fritz Jung), der sich im Ökosystem seiner Familie aufhält und sich dort engagiert. Tell ist kein Revolutionär, er will sein Leben in Ruhe und Frieden leben und kommt doch in Konflikt. Da er den Hut des Vogtes nicht grüsst, zwingt dieser ihn, mit seiner Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schiessen. Durch diese Verkettung von Umständen gerät er in eine hochpolitische Situation und wird zum Helden. Nicht aber für seine Frau, denn sie kann ihm den damit einhergehenden Verrat an der Familie und das aufs Spiel gesetzte Leben des Sohnes nicht verzeihen.
Ihm gegenüber stehen die politischen Akteure des Stückes: Der Reichsvogt Herrmann Gessler (Ralf Beckord), der mit seinen absolutistischen Ansätzen einen Machtmenschen par excellence verkörpert, Ulrich von Rudenz (Julian Härtner), der das Gute erkennt und dafür einsteht, Bertha von Bruneck (Laura Lippmann), deren Herz für das Volk schlägt und viele andere Figuren – zwei Drittel des Konstanzer Ensembles und eine Schar von Statisten sind an diesem Stück beteiligt. Stellenweise sind also knapp 50 Personen auf der Bühne.

Was das Stück unbedingt sehenswert macht, sind drei Dinge: Zum Ersten sind es die Männer. Begonnen bei den Söhnen Tells (Julian Griener als Walther), die wunderbar frech spielen, als hätten sie nie etwas anderes getan. Dann geht es einmal quer durch das Ensemble, das beweist, dass Lederhosen noch tragbar sind, bis hin zu Ralf Beckord, dem der Landlord wie auf sein güldenes Haupt geschneidert scheint. Allen voran aber steht Thomas Fritz Jung. Denn er spielt sie an die Wand, mit voller Wucht und einer Ernsthaftigkeit, die den Zuschauer stellenweise Zeit und Raum vergessen lässt. Die Qualen eines Vaters, die Wut eines unmündigen Bürgers, die Kraft eines Kämpfenden – all das verkörpert Jung in seinem hünenhaften Tell, der wie ein Rübezahl aus der Alp herabzusteigen scheint.

Männer, Schweiz und Äpfel

Zum Zweiten ist es die Grundthematik: die historischen Begebenheiten der Schweiz. «Wilhelm Tell» ist zwar eine fiktive Figur, Schiller war nie auf einer Alp, aber dennoch geht es auf einem wilden Ritt durch die Schweizer Geschichte: Die Urkantone begehren auf gegen die Tyrannei des Landvogts und treffen sich heimlich im Schutz des Gebirges, um den heiligen Rütli-Schwur abzulegen. Wenn dann die Bergfeuer beschrieben werden, die von Alp zu Alp entfacht werden, ist die vergangene Zeit zum Greifen nah. Und auch der Urgedanke, der dem Schweizer Politikum zu Grunde liegt, wird im Stück hundertfach genannt: Freiheit.
Als Drittes wäre der Apfel zu nennen. Es ist wohl die bekannteste Szene, in welcher Tell seinem Sohn die Frucht vom Kopf schiesst. In dieser Inszenierung wird diese Darstellung eindrücklich vorgebracht, hier darf man sich überraschen lassen. Nur so viel: Eine Armbrust braucht der Tell nicht.

 

Termine:

23. / 24. / 26. / 27. / 28. / 29. / 30. Juni

1. / 3. / 4. / 5. / 6. / 8. / 9. / 11. / 12. / 13. / 14. / 15. / 16. / 18. / 19. / 20. / 22. / 24. / 25. / 26. / 27. Juli

Beginn ist jeweils um 19 Uhr auf der Freilichtbühne am Münsterplatz. Karten und Infos gibt es auf:    www.theaterkonstanz.de

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