Schändung eines Kindes – Geständnis unverwertbar
Frauenfeld – Laut Obergericht darf ein Geständnis vor Gericht nie verwendet werden, wenn der Angeklagte es vor der Bestellung der notwendigen Verteidigung ablegte.
Die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen hat 2013 die Festnahme eines Angeschuldigten wegen des Verdachts der Schändung und der sexuellen Handlungen mit einem Kind veranlasst. Angesichts der Schwere der Vorwürfe hätte sie ihm aber nach der Eröffnung der Strafuntersuchung einen notwendigen Verteidiger zur Seite stellen müssen. Sie liess ihn indessen ohne Verteidiger einvernehmen. Bei dieser Erstbefragung legte der Mann ein umfassendes Geständnis ab. Die zweite Einvernahme vor dem Staatsanwalt fand im Beisein seines Verteidigers statt. Dabei verweigerte der Angeschuldigte – auf Vorhalt der Angaben der ersten Einvernahme – jede Aussage. Er verlangte später, die Protokolle beider Befragungen seien aus den Akten zu entfernen, da die Erstaussagen unverwertbar und auch im Protokoll der zweiten Einvernahme enthalten seien. Die Staatsanwaltschaft stellte sich auf den Standpunkt, die Einvernahmen dürften im Strafprozess verwendet werden, weil es um die Aufklärung einer schweren Straftat gehe.
Absolutes oder relatives Verwertungsverbot
Gemäss der Strafprozessordnung (Art. 141 Abs.1 und 2) ist ein Beweis in keinem Fall verwertbar, wenn das Gesetz ihn als «unverwertbar» bezeichnet (absolutes Verwertungsverbot); bezeichnet der Gesetzgeber die Beweisabnahme hingegen als «ungültig», darf der Beweis zur Aufklärung schwerer Straftaten verwertet werden (relatives Verwertungsverbot). Das Obergericht entschied, in Fällen der notwendigen Verteidigung sei eine Einvernahme unabhängig von der Schwere der Straftat absolut unverwertbar, wenn die Befragung durchgeführt werde, ohne dass eine Verteidigung bestellt sei. Umstritten ist diese Frage, weil die StPO diesbezüglich widersprüchlich ist. Laut deutscher und italienischer Fassung von Art. 131 Abs. 3 StPO ist eine Beweiserhebung in Fällen, in denen der Angeschuldigte erkennbar zwingend verteidigt sein muss, nur gültig, wenn die beschuldigte Person auf die Wiederholung verzichtet. In der französischen Fassung hingegen ist die Beweiserhebung bei fehlendem Verzicht auf Wiederholung unverwertbar. Das Obergericht hielt ausgehend von Sinn und Zweck der fraglichen Bestimmung die französische Version für massgebend. Gerade bei schweren Delikten könnte die Staatsanwaltschaft ansonsten versucht sein, die Vorschriften über die notwendige Verteidigung zu umgehen; sie könnte zunächst Beweise erheben, ohne die notwendige Verteidigung bestellt zu haben, und später argumentieren, es gehe um die Aufklärung schwerer Straftaten.
In letzter Instanz muss nun das Bundesgericht, an das die Staatsanwaltschaft gelangte, diese Frage klären. Der Entscheid ist deshalb von praktischer Bedeutung, weil in etlichen Strafverfahren das Geständnis der entscheidende Beweis ist.