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Irrungen und Wirrungen

Kreuzlingen – Ein Deutscher hat Rekurs gegen seine Einbürgerungsempfehlung eingelegt. Auf eine abschliessende Reaktion von Kanton und Gemeinde wartet er seit über einem Jahr.

In Kreuzlingen prüft die Einbürgerungskommission jeden Kandidaten. Das letzte Wort hat jedoch der Gemeinderat – wenn man so weit kommt. (Bild: sb)

Max Meier (Name von der Redaktion geändert) ist keiner, der ein Blatt vor den Mund nimmt. Vor Jahren wurde der «Jungunternehmer mit der sozialen Ader» vom lokalen Tagesblatt gefeiert. «Mittlerweile sind wohl einige neidisch geworden auf meinen Erfolg», sagt der Inhaber eines Stahl- und Holzbau-Unternehmens. Er berichtet von Bauvorhaben, die ungewöhnlich lange auf Eis liegen oder anderweitig verhindert werden. Vom Rechtsstreit mit der Stadt wegen einer Lappalie. Von Unterlagen, die plötzlich verschwunden gehen. Und dann war da noch die Sache mit dem Bahnhof Bernrain. Er hätte in das denkmalgeschützte Gebäude einen Millionenbetrag investiert, es im Baurechtsvertrag zum Firmensitz ausgebaut, der Stadtrat war dafür. Der Gemeinderat jedoch lehnte es 2015 sehr eindeutig ab. «Von allen Seiten bekomme ich Steine in den Weg gelegt, und das von Personen, die mich nicht mal persönlich kennen.», sagt Meier. «Es ist absurd und ausgesprochen schade, das in meiner Heimatstadt zu erleben.»

Jüngstes Beispiel ist seine Einbürgerung. Vor über einem Jahr habe ihn die Einbürgerungskommission (EBK) des Gemeinderats durchrasseln lassen. Ungenügend in Staatskunde, Politik und Geschichte. Das Gesuch war bereits sein zweites. Wegen einer Geschwindigkeitsübertretung vor einigen Jahren sei er im ersten Verfahren bereits abgelehnt worden.

Statt die Faust im Sack zu ballen, hat sich der 29-Jährige nun an die Medien gewandt. «Ich bin der Meinung, ich werde hier unfair behandelt», sagt er unumwunden. Stein seines Anstosses ist die einstündige mündliche Befragung durch neun EBK-Mitglieder.

Diese galt als zentraler Bestandteil der Einbürgerungsprüfung. Mit ihr sollte etwas gemessen werden, was sehr schwer zu messen ist: der Grad der Integration. Gemäss Einbürgerungsreglement gilt als integriert, wer Bescheid weiss über das öffentliche Geschehen und verschiedenartige soziale Beziehungen pflegt. Man könnte meinen, wer hier arbeitet, Steuern zahlt, zur Schule gegangen ist, allenfalls ehrenamtlich tätig ist, eine Familie gegründet hat, kurzum: dieses Land als seine Heimat betrachtet, sollte integriert sein. Fragen, auf die man lernen kann, Fragen nach staatskundlichem oder geographischem Fachwissen haben damit allerdings wenig zu tun, findet nicht nur Meier. So wollte die SP die Einbürgerung 2016 per Postulat zu einem reinen Verwaltungsakt machen.

Über die Gründe von Meiers Ablehnung lässt sich indes nur spekulieren. Er selbst behauptet, einige EBK-Mitglieder hätten bewusst versucht, ihn aufs Glatteis zu führen und in unangenehme Situationen zu bringen. Er spricht von «Schikane».

Aber er gibt auch zu: «Vorbereiten konnte ich mich nur begrenzt.» Dazu habe der Unternehmer kaum Zeit. «Ich muss schauen, dass meine rund 100 Mitarbeitenden ihr Brot auf dem Tisch haben. Ich arbeite 150 Prozent, ich bin ein Workaholic.» Und ausserdem sei er bestens integriert. Er lebt seit seiner Jugend hier, spricht Mundart, Vater und Bruder haben den Schweizer Pass, er selbst hat mittlerweile die eidgenössiche Bewilligung erhalten. Meier ist Mitglied im Arbeitgeberverein und im Hauseigentümerverband.

Das Tonbandprotokoll entlarvt dennoch einige Wissenslücken. Vielleicht trug auch sein Auftritt zum negativen Bild bei. Der erfolgreiche Unternehmer gibt sich äusserst selbstbewusst und lässt so die möglicherweise von EBK-Mitgliedern gewünschte Demut eines Prüflings vermissen. Mehrmals verwickelt er sich in kleinere Diskussionen mit seinen Prüfern.

Dabei offenbart er aber auch solide Kenntnis der Gegebenheiten. Etwa als er einer Prüferin erklärt, dass der Entsorgungshof RAZ eben nicht einfach nur Teil des Werkhofs ist, sondern im Auftrag und in Zusammenarbeit mit dem Verband Kehrichtverbrennungsanlage Thurgau (KVA) betrieben wird. Zu guter Letzt äussert er sich kritisch zu angeblichen Mauscheleien bei der Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Hand.

Fakt ist, dass Meier einer der letzten Gesuchssteller war, die nach dem 2009 eingeführten System geprüft wurden. Dieses wurde jüngst von A bis Z überarbeitet. Das Gespräch bleibt auch nach der Revision. Es dauert aber lediglich 15 bis 30 Minuten, dient dem Kennenlernen und Mundart-Check. Die Wissensfragen wurden in den schriftlichen Test überführt, der nun ausführlicher ist (wir berichteten). Für den EBK-Präsidenten Michael Stahl bedeutet diese Revision weniger Aufwand. «Und es ist für die Kandidaten angenehmer», sagt er.

Das sagt der EBK-Präsident
Ihm sei klar, dass der ausführliche mündliche Test für manche schwierig war. «Aber gezielt nach Schwachstellen gesucht haben wir nie. Im Gegenteil: Man versucht, die Prüflinge auf die Gebiete hinzuführen, in denen sie sich auskennen.» Es sei unglaublich, wie gut sich mache vorbereiten. Stahl: «Und das ist ja auch kein Hexenwerk. Wer die Zeitung liest, sollte den Namen des aktuellen Gemeinderatspräsidenten kennen. Auch die Stadträte kennt man aus der Zeitung. Geschichtlich genügt im Grunde eine Internetrecherche.» Der EBK-Präsident ist überzeugt, dass der alte Test nicht zu schwer gewesen ist. 2016 seien nur drei von 37 Kandidaten durchgefallen, in diesem Jahr haben bislang zwei von 54 eine negative Empfehlung bekommen.

Dem abgelehnten Meier riet Stahl, die Einbürgerung zurückzuziehen und neu zu stellen. Den Wissenstest müsste er dann nicht mehr machen, und dass er Mundart spreche, habe er ja bereits bewiesen.

Meier aber legte Rekurs ein – oder dachte das zumindest. Denn seitdem wartet er darauf, dass es weitergeht.

Kanton und Gemeinde uneinig
So ist man sich beim Amt für Handelsregister und Zivilstandswesen zum Beispiel sicher: Bevor der Gemeinderat abschliessend über eine Einbürgerung entschieden hat, ist es gar nicht möglich, Rekurs einzulegen. Dies sagte eine Abteilungsleiterin auf Anfrage. Ein Kandidat habe allerdings das Recht, eine zweimalige Stellungnahme der EBK-Empfehlung zu verlangen. Wenn diese bei ihrem negativen Bericht bleibt, kann er trotzdem die eidgenössische Einwilligung beantragen. Liegt diese vor, wäre die nächste Station der Gemeinderat. Die Abteilungsleiterin spricht allerdings von «Eigeninitiative». Von einer Frist, innert der das Amt reagieren muss, hat sie nie etwas gehört.

Im Schreiben der Stadtkanzlei indes, das jedem abgelehnten Prüfling erteilt wird, ist vom «rechtlichen Gehör» zu lesen, welches man gegenüber dem Amt «schriftlich äussern» könne. Auch steht geschrieben: «Ein Rechtsmittel gegen den Bericht an den Kanton gibt es nicht.»

Wie jetzt? Rekurs möglich oder nicht? Dieser Kuddelmuddel und die damit verbundene Verzögerung sind für Meier nur weitere Mosaiksteine in einem abgekarteten Spiel. «Gemeinde und Kanton spielen sich hier den Ball seit über einem Jahr gegenseitig zu. Der Leidtragende bin ich.»

Ein äusserst seltener Fall
Fast alle, die von der EBK abgelehnt werden, ziehen ihr Gesuch zurück. Sporadisch gehen Kandidaten trotzdem in den Gemeinderat. So gab es im vergangenen Jahr den äusserst seltenen Einbürgerungsfall einer jungen Frau. Die Volksvertreter erteilten ihr fast zwei Jahre nach der Befragung vor der Kommission das Bürgerrecht. Das Protokoll verrät allerdings nicht, wie die Abstimmung ausging. Ihr Bruder hatte dieses Glück nicht: Sein Gesuch lehnte der Gemeinderat ab.

Auch Vater, Mutter und jüngere Schwester wollen sich einbürgern lassen. Eigentlich. Doch was diese vom langwierigen und demütigenden Verfahren der damals 17-jährigen Tochter mitbekommen haben, hat ihre Motivation in erheblicher Weise geschmälert.

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2 thoughts on “Irrungen und Wirrungen

  1. Bruno Neidhart

    Viele „Top-Schweizer“ in Kreuzlingen kennen wohl auch nicht alle Namen von Stadträten und anderen „Grössen der Stadt“. Um das allein geht es nun wirklich nicht. Das politische Interesse scheint überhaupt generell nicht arg ausgebildet zu sein, ist doch jeweils kaum die Hälfte der Stimmbürger an einer Abstimmung interessiert. Im Fall „Max Meier“ scheint es sich um etwas persönliches zu handeln, das heraus zu arbeiten ist, um es bewerten zu können. Mehr Licht! Sich nur im Internet schlau zu machen (Stahl), ist übrigens zu billig. Ich sage: Kreuzlingen fehlt ein Stadtmuseum! Das wäre die Instanz für alle „echten Kreuzlinger“ – alten und neuen -, um sich über das Gemeinwesen „cruzelin“ vor Ort orientieren zu können.

    Antworten
    1. schiesser

      …und dann wollen Sie die Einbürgerungskommission im neuen Heimatmuseum ausstellen? Oder was hat die merk-würdige Einbürgerungspraxis mit dem von Ihnen gewünschten neuen Museum zu tun?

      Antworten

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