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Ende mit Tränen

Kreuzlingen – Die Dirigentin des Kirchenchors und die Evangelische Kirchgemeinde haben sich getrennt. Viele Chormitglieder sind enttäuscht. Möglicherweise löst sich der Kirchenchor jetzt nach 125-jährigem Bestehen auf.

Der Kirchenchor wirkt mit in Gottesdiensten, gibt Konzerte und bietet jährlich Projekte an. (Bild: Stephanie Hofschläger/pixelio.de)

Die Kirchenbehörde hat als Übergangslösung eine neue Leiterin für einen Projektchor mit dem Namen «Re-NEW-ing» gefunden, aber nicht in einem Angestelltenverhältnis. Dessen musikalische Auswahl, so hört man, sei moderner und vielseitiger. Geprobt wird nicht mehr wöchentlich. Am 5. November ist der erste Auftritt geplant.

Der Projektchor ist ein Angebot für die bisherigen Sängerinnen und Sänger, hier weiterzumachen, sagt Kirchenpräsident Thomas Leuch.

Doch längst nicht alle finden das gut. Der Grossteil zeigt sich enttäuscht und kritisiert den Umgang der Kirchenbehörde mit der langjährigen Leiterin Annette Vielmuth. «Den Umgang mit ihr empfinden wir als ungeheuerlich», sagt etwa Thomas Baumann, der seit rund zwei Jahren im Chor singt. Jetzt in den neuen Projektchor zu wechseln, wäre für ihn und die Mehrheit der anderen wie ein Verrat. Vergangene Woche habe die Dirigentin sich vom Chor verabschiedet. Tränen seien geflossen.

Mitglieder reden von Mobbing
«Unser Chor ist sehr alt, die jüngeren Mitglieder sind zwischen 60 und 70 Jahre alt», sagt die Chorpräsidentin, Waltraud Steiner. Sie singt seit 63 Jahren dort und weiss von Mitgliedern, die nun aufhören wollen. Auch aus gesundheitlichen Gründen. Aber: «Wir wollen die modernen Sachen nicht singen», sagt sie. «Und so wie das abgelaufen ist, hat das Gemeinschaftsgefühl Schaden genommen. Ich gehe auch nicht mehr in die Kirche deswegen.» Weitersingen will sie trotzdem, in der katholischen Pfarrei St. Ulrich. Baumann singt auch im Chor von St. Stefan.
Kirchenpräsident Leuch indes sieht die Sache weniger emotional. Der Kirchenchor habe ein Nachwuchsproblem gehabt. Bezüglich der musikalischen Ausrichtung mit Vielmuth, die auch Organistin war, habe man sich nicht mehr gefunden. «Sie war nicht flexibel genug», so Leuch. Mit der Leiterin des neuen Projektchors, Claudia Kübler, habe man eine sehr talentierte Sängerin und Gesangslehrerin gefunden. «Ich sehe das als Chance, neue Leute anzusprechen – etwas, das der Kirchenchor in der Vergangenheit nicht geschafft hat.»

Die bestehenden Mitglieder verstehen nicht, warum man den Chor nicht einfach hätte auslaufen lassen können. Denn dieses Jahr wollten sie ihr 125-Jahr-Jubiläum feiern. Nun ist ihnen aber nicht mehr nach Feiern zumute. «So kann man doch nicht miteinander umgehen», kritisiert Baumann. Man fühle sich wie vor die Türe gesetzt.

Kirchenpräsident Leuch kann die Enttäuschung verstehen. «Der Chor mit seinen wöchentlichen Proben gehörte für viele seit langen Jahren zu ihrem Leben dazu. Doch neben den traditionellen Stilen soll auch Popularmusik ihren Platz haben. Aus unserer Sicht muss der Kirchenchor deswegen nicht sterben. Er hat schon mehre Leiterwechsel überstanden.»

Eine neue Organistin wird die Kirchgemeinde auf jeden Fall suchen, aber nicht im selben Pensum. Ob dieses Jahr nun etwas zum Jubiläum auf die Beine gestellt wird, ist unsicher. Die Kirchenbehörde würde auf jeden Fall Hand bieten, sagt Leuch.

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