/// Rubrik: Stadtleben

Fällt die Freigrenze?

Kreuzlingen – Die Idee ist schon lange auf dem Tisch, nun erhält sie gewichtige politsche Unterstützung: Schweizer, die im Ausland einen Ausfuhrschein abstempeln lassen, sollen die Schweizer Mehrwertsteuer bezahlen.

Führt die Abschaffung der Freigrenze zu mehr oder weniger Verkehr? (Bild: ek/vf)

Zehn Milliarden Franken haben Schweizer 2016 im Ausland ausgegeben, rechnet die Credit Suisse in ihrem «Retail Outlook 2017» aus. Das entspricht rund zehn Prozent des gesamten Schweizer Detailhandelumsatzes. Bestrebungen, Einkaufstouristen vom nahen Ausland fernzuhalten, gibt es schon lange. Interessengruppen wie die «Kreuzlinger Initiative zur Abschaffung der Mehrwertsteuersubventionen» oder die «Interessensgemeinschaft Detailhandel Schweiz» haben Ansätze formuliert, wie Fehlanreize bei Grenzformalitäten abgeschafft werden sollen. Im März reichte der Glarner Ständerat Werner Hösli (SVP) eine Motion ein, welche die Wertfreigrenze für Waren aus dem Ausland auf 50 Franken senken soll.
Auch der Kreuzlinger Grünen-Kantonsrat Jost Rüegg verfolgt zusammen mit Kurt Egger, Kantonsrat und Präsident der Grünen Thurgau, eine Reduktion der Wertfreigrenze. «Diese Tax-Free-Zone müssen wir endlich abschaffen», gibt Rüegg die Parole aus. Seit vier Jahren arbeiten beide daran und sind beim Regierungsrat, der eidgenössischen Oberzolldirektion und den Thurgauer Ständeräten vorstellig geworden. «Gefruchtet hat’s wenig, es sei vom Aufwand her nicht machbar», erzählt Rüegg. Ein Argument, das sie nicht gelten lassen wollen und deshalb den politischen Druck erhöhen.

Steuergerechtigkeit
Am 30. August lancierten neun Kantonsräte die Motion «Standesinitiative zur Beseitigung der Wertfreigrenze im Einkaufstourismus». Damit wird der Regierungsrat beauftragt, eine Thurgauer Standesinitiative bei der Bundesversammlung einzureichen. Die Forderung im Wortlaut: «Die gesetzlichen Grundlagen sind dahingehend anzupassen, dass bei sämtlichen Einfuhren im privaten Warenverkehr bis 300 Franken pro Person und Tag die Schweizer Mehrwertsteuer zu entrichten ist, sofern die ausländische Mehrwertsteuer zurückgefordert wird. Bei Einfuhren über 300 Franken bleibt die bisherige Regelung bestehen.» Sprich: Wer die 19 Prozent Mehrwertsteuer in Deutschland zurückfordert, muss die acht Prozent gleich wieder in der Schweiz zahlen. Die zuständige Kommission in Bern muss nun den Vorschlag prüfen. Leistet sie der Initiative Folge, kommt die Forderung ins nationale Parlament.

Die Motion erhält breite Rückendeckung aus dem Thurgau. 66 Kantonsräte haben sie mitunterzeichnet, unter ihnen auch Vertreter aus Kreuzlingen. «Die Situation mit dem Einkaufstourismus hat sich über die vergangenen Jahre regelrecht hochgeschaukelt. Da müssen wir versuchen, Gegensteuer zu geben», erklärt Edith Wohlfender (SP) ihre Unterstützung für die Motion. «Ob die Initiative wirklich durchkommt, ist fraglich, aber es geht auch darum, ein Signal nach Bern zu senden und das Thema aufs Parkett zu bringen», sagt Beat Rüedi (FDP). Für Marianne Raschle (CVP) ist vor allem das Kreuzlinger Verkehrschaos an Wochenenden untragbar. Sie erhofft sich mit der Massnahme eine Verkehrsberuhigung: «Es könnte Einkaufstouristen von weiter weg abschrecken, wenn sie doppelt Stempeln gehen müssen.»

Unverhältnissmässiger Aufwand

Der Schweizer Zoll befürchtet eine versechzigfachung des Aufwands. (Bild: archiv)

Doch genau das doppelte Abstempeln ist ein Punkt, der für die Eidgenössische Zollverwaltung mit den heutigen Ressourcen unrealistisch ist. 2016 haben täglich 33600 Fahrzeuge die Grenze am Autobahnzoll und am Emmishofer Tor passiert. Fällt die Wertefreigrenze, ergäbe sich rein arithmetisch eine Versechzigfachung der Schweizerischen Abfertigungen. «Wie viele Reisende auf MwSt-Rückerstattung verzichten und somit keine Schweizer Abfertigung machen müssten, bleibt spekulativ», äussert sich David Marquis, Stv. Leiter Kommunikation bei der Eidgenössische Zollverwaltung, zur Vorlage. Auch den dadurch entstehenden Mehreinnahmen sieht die Oberzolldirektion kritisch entgegen. Heute werden im Reisendenverkehr rund 50 Millionen Franken Mehrwertsteuer eingenommen. Auf Grund der aktuellen Wertfreigrenze von 300 Franken konzentriert sich der Personaleinsatz auf grössere Einkaufswerte. Das Verhältnis Einnahmen zu Personalaufwand wird somit bei geringen Einkaufswerten schlechter.
«Um den Einsatz zu reduzieren, könnte man Automaten aufstellen, an welchen die Konsumenten die Schweizer Mehrwertsteuer entrichten», schlägt Rüegg deswegen vor. 2016 wurden laut dem Hauptzollamt Singen allein in Konstanz 3,7 Million Ausfuhrzettel abgestempelt. «Automaten würden die Stauproblematik an den Grenzübergängen nicht wesentlich entschärfen. Selbst mit vielen dieser Maschinen entstände in Kürze ein grosser Stau an der Grenze – die Parkplätze an der Grenze sind bereits heute übervoll», ist sich hingegen Marquis sicher. Die Zollverwaltung entwickelt aber derzeit eine App, womit die Schweizer Zolldeklaration bereits im Ausland übers Smart Phone erledigt werden kann.

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