Zuhause in der Fremde
Kreuzlingen – An der PMS Kreuzlingen lasen Usama Al Shahmani und Bernadette Conrad aus ihrem Buch «Die Fremde - ein seltsamer Lehrmeister», begleitet vom «Chor ohne Grenzen». (Text: Inka Grabowsky)
«In Kreuzlingen haben wir bei einem Spaziergang die Idee zu unserm gemeinsamen Buch entwickelt», sagt Bernadette Conrad. «Deshalb ist es besonders schön, hier zu lesen.» Das Publikum in der fast vollbesetzen Aula der Pädagogischen Maturitätsschule Kreuzlingen nahm die Gelegenheit zur Wieder-Begegnung mit beiden Autoren gerne wahr. Conrad hat rund 30 Jahre in Konstanz gelebt, bevor sie kürzlich nach Berlin umzog. Al Shahmani arbeitet seit 2010 in Teilzeit in der Mensa der PMS – beide Autoren lasen also auch vor alten Bekannten.
Sie erforschen in ihrem Werk die Wirkung, die ein Leben in der Fremde auf den Flüchtling hat. Conrad bezieht sich dabei auf die Erlebnisse ihrer Grosseltern und Eltern, die nach dem 2. Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten. Al Shahmani erzählt von seiner Flucht aus dem Irak. «Ich bin dankbar für die grossen Chancen, die ich durch die Flucht bekommen habe», sagt er, «aber die Vergangenheit – das Leiden – wird immer einen Platz in meiner Seele haben.» Als luxuriös begreife er das Leben in der Schweiz nicht. «Es muss doch normal sein, in Frieden und Freiheit zu leben.»
Für beide hatte die Arbeit an dem Buch eine reinigende Wirkung. «Ich betrachte meine Kindheit und Jugend jetzt anders», sagt AL Shahmani. «Die Suche nach Zusammenhängen in der Familiengeschichte gibt Identität», so Conrad. «Durch die Zusammenarbeit mit Usama fiel es mir leichter, sie zu erkennen. Es gab Resonanz.» Der Iraker freut sich über die grosse Wirkung des Buches nach Aussen: «Das Thema Fremdsein ist in den Fokus gerückt.» Ausserdem ist er aus pragmatischen Gründen froh über die Koproduktion: «Nach drei Büchern auf Arabisch ist dies meine erste Veröffentlichung auf Deutsch.» Nun schreibe er ein zweites Buch.
Es sei mittlerweile die 18. Lesung von «Die Fremde – ein seltsamer Lehrmeister», bilanziert Usama Al Shahmani nicht ohne Stolz. Noch nie aber hätten sie ihr Thema «Flucht» mit passender Musik präsentiert, meinte Bernadette Conrad. Die Lesung wurde umrahmt vom «Chor ohne Grenzen», den die PMS-Solo-Gesangslehrerin Alexa Vogel in ihrer Freizeit leitet. Einheimische und Migranten proben gemeinsam in den Musikschulen Romanshorn und Arbon. Derzeit sind zehn Nationen vertreten. Das Repertoire ist entsprechend international. Besonderen Applaus erhielten die drei Solisten des Chors: Eine Iranerin, eine Tibeterin und ein Eritreer sangen jeweils in ihren Muttersprachen. Die mitreissende Musik milderte die Betroffenheit, die die Fluchtgeschichten der Autoren auslösten. Allerdings schaffte es auch Usama Al Shahmani, das Publikum zum Lachen zu bringen. Er sei kürzlich bei einem Besuch im Irak aufgefordert worden, die Schweiz in drei Worten zu beschreiben: «Ich nannte die Wörter ‚zuverlässig’, ‚Toleranz’ und ‚jammern’.»