Musikalisches Treiben im Wechselbad der Gefühle
Kreuzlingen – Am Sonntag sang der Oratorienchor Kreuzlingen Felix Mendelssohns «Elias» unter der Leitung von Annedore Neufeld: eine beachtliche und vielbeachtete Leistung, dargeboten in der ausverkauften Kirche St. Stefan. (Text: Christine Forster)
Der alttestamentliche Prophet Elias sei eine starke, eifrige, wohl auch böse und zornige Figur gewesen. Diese Eigenschaften hat der Komponist Felix Mendelssohn (1809 – 1847) für seine «Elias»-Interpretation aus den zwei alttestamentarischen Büchern der Könige erschlossen und auf vielgestaltige Weise in Musik umgesetzt. Ein gewaltiges Oratorium ist entstanden, uraufgeführt 1846 mit etwa 400 Mitwirkenden.
Über 100 Mitwirkende müssen es gewesen sein, die am Sonntag die dramatischen, existentiell berührenden Geschichten um die archaische Figur des Propheten Elias musikalisch dargestellt haben. Das ereignisreiche, gelungene Konzert wurde vom Publikum mit langem Applaus gewürdigt und wird sicher als besonderes Ereignis in Erinnerung bleiben.
Mit viel Schwung
Allem voran sei der Oratorienchor Kreuzlingen erwähnt, der in diesem Jahr sein 80-jähriges Jubiläum feiert. Aufmerksam und konzentriert, befreit, dynamisch und rund im Klang erklingt der grosse Chor im «Elias». Besonders schön umgesetzt werden die brausenden Wasserwogen, die der Chor zum Schluss des ersten Teils präzise, differenziert, aber mit viel Schwung ausgestaltet.
Das berühmte Doppelquartett «Denn er hat seinen Engeln befohlen» wird mit einem Ensemble aus dem Chor musiziert. Es ist ein Genuss, vor allem den hohen Frauenstimmen zuzuhören.
Dreh- und Angelpunkt
Die Solisten Mechthild Bach (Sopran), Roswitha Müller (Alt), Raphael Höhn (Tenor) und Matthias Horn (Bass) überzeugen ebenfalls durch ihre hohe Musikalität. Im Speziellen zu erwähnen sind die beiden Männerstimmen: der Bassist ist in seiner Rolle als Elias Dreh- und Angelpunkt, lebt die Dramatik mit, erzählt und gestaltet. Der junge Tenor hat weniger zu tun, hinterlässt aber ebenfalls einen bleibenden Eindruck mit seiner kernig-runden Stimme und den gekonnt musizierten Passagen.
Koordiniert und ausgelotet
Die Dirigentin Annedore Neufeld gibt die Fäden nie aus der Hand, dirigiert konkret, verbindlich, fein und im richtigen Moment kräftig und gross. Der Chor und das Orchester reagieren perfekt auf sie. Die Rezitative der Solisten werden von Neufeld gekonnt und klar koordiniert und von der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz kompakt und flüssig begleitet, die Celli im Orchester ermöglichen einen magischen Moment zu Beginn der Bass-Arie «Es ist genug», und die Balance zwischen Chor und Orchester wirkt zu jedem Zeitpunkt gut ausgelotet.
Die Eliasaufführung war auch für mich als Mitwirkenden eine noch nie so erlebte Spitzenleistung, mit zweimaligem Wechseln verschwitzter Kleidung. Es wurde nicht nur musiziert sondern Ausdruck geschaffen. Gewiss wurde dies durch die jederzeit klar artikulierte, spannende „Story“ des, ohne die üblichen Streichungen aufgeführten, Stückes gefördert. Trotzdem war es herausragend, wie die Dirigentin alle SängerInnen, SolistInnen und Musiker zum fast theatralischen Mitwirken führte, die akustisch wohl etwas schwierige Kirche dabei mit leisestem, sanften Säuseln, wie auch mit lautesten, erbebenden Rufen füllte. Dass jeder Einsatz tonal und lautstärkemäßig exakt erfolgte war eine weitere Krone dieser Gemeinschaftsleistung. Hierzu gehörte dann auch das Publikum, welches trotz der Überlänge bis zum Ende fasziniert blieb und mit Standing Ovations die Seeligkeit der Mitwirkenden vollendete.