Wieviel ist zu viel
Kreuzlingen – Während der Wirtschaftswoche diskutierten Schüler der Pädagogischen Maturitätsschule Kreuzlingen mit Politikern und einem Vertreter der Post über die Rolle des Staates in der Marktwirtschaft. (Inka Grabowsky)

Walter Schönholzer, Adrian Buholzer von der PMS, Matthias Dietrich und Christian Lohr. (Bild:zvg)
Matthias Dietrich wappnete sich für eine heftige Diskussion. Der Leiter «Politik und Internationales» der Post muss sich derzeit werden des Strukturwandels einiges von den Kunden anhören. Doch ganz so schlimm kam es gar nicht. Die rund 140 Schülerinnen und Schüler der vierten Klassen hatten durchaus Verständnis dafür, dass Poststellen abgebaut und durch Postagenturen oder den Haus-Service ersetzt werden, obwohl die jungen Leute – zur Überraschung der Podiumsteilnehmer – durchaus noch Nutzer der klassischen Postdienstleistungen sind und keinesfalls nur digital kommunizieren. Zur praktischen Ausgestaltung gab es jedoch Fragen. Was ist mit der Diskretion? Was ist mit der Sicherheit, wenn ich im Dorfladen grössere Geldsummen abhebe? Was nutzt ein Hausservice, wenn ich den ganzen Tag über ausser Haus arbeite? Was ist mit den Arbeitsplätzen? Offenkundig gibt es auch bei jungen Kunden noch viel Klärungsbedarf zu den neuen Angeboten. «Das muss ich zugeben», so Dietrich, «wir müssen viel besser kommunizieren. Und wir müssen insbesondere die Ängste der älteren Menschen ernst nehmen und abbauen.» Die Post wecke viele Emotionen. Hier stimmte auch Regierungsrat Walter Schönholzer zu. Der Regierungsrat gab sich jedoch überzeugt, dass sich bei den Gesprächen des Kantons, der Gemeinden und der Post gemeinsam Lösungen für das Poststellen-Problem finden werden.
Schönholzer wurde in der Diskussion von den Viertklässlern nicht geschont – insbesondere als er ausgeführte, dass der öffentliche Verkehr im Kanton stark gefördert und ausgebaut würde. Die Lebenswirklichkeit einiger Schüler sieht offenbar anders aus. «In meinem Dorf ist die Bus-Abendverbindung ganz gestrichen worden. Für Menschen, die nicht Auto fahren, ist das schlecht.» Das musste der FDP-Politiker einräumen. Er erklärte: «Wir haben ausgerechnet, dass so eine Spät-Verbindung den Staat 38 Franken pro Passagier kostet. Damit ist dann eine Schmerzgrenze erreicht.»
Bei regulatorischen Eingriffen in die Wirtschaft sei Fingerspitzengefühl gefordert. «Sie können Auswirkungen an ganz anderer Stelle haben», mahnte er und zitierte den deutschen SPD-Politiker Karl Schiller: «So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig.» Nationalrat Christian Lohr von der CVP sieht Eingriffe überall dort als nötig an, wo Schwächere die Unterstützung der Gesellschaft brauchen. Das gelte auch für den Service Public. Ein Abbau sei absehbar und in ländlichen Gebieten wie dem Thurgau eben schmerzhafter als in der Stadt. «Dafür braucht es einen sozial verträglichen Prozess. Ältere, Familien oder Behinderte müssen Zugang zum Service Public behalten.» Die von Staat mitgetragene Grundversorgung beim öffentlichen Verkehr, Radio und Fernsehen, Telekommunikation und Post sei weiterhin sinnvoll, aber es täte Anbietern gut, starke Konkurrenz zu haben, damit sie sich verbessern. Dem stimmten im Schlusswort in der Aula der PMS eigentlich alle zu. «Wir dürfen nicht im Status quo verharren, sondern müssen gemeinsam den Service Public der Zukunft gestalten», so Matthias Dietrich. Regierungsrat Schönholzer ergänzte: «Der Staat muss über den Service Public für ein ausgeglichenes System sorgen. Wir schützen damit die Solidarität.»