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Beim Tanzen brechen Grenzen auf

Münsterlingen – Im deutschen Bundesjugendballett erhalten junge Talente eine zweijährige Weiterbildung. Diese beeinhaltet auch, den Tanz an dafür untypische Orte zu bringen. Etwa zur Psychiatrie Münsterlingen. Als organisatorischer Leiter und früherer Ballettmeister ist Yohan Stegli stets hautnah dabei. Ihn freut es jedes Mal, wenn der Funke überspringt.

Unter anderem zu sehen: die Eigenkreation «Dumbarton Oaks». (Bild: Kiran West)

Herr Stegli, das Bundesjugendballett tanzt mit Menschen in Gefängnissen, in Kirchen, an Schulen, auf Festivals oder jetzt zum wiederholten Male in der Psychiatrischen Klinik. Dabei ist diese anspruchsvolle Kunstform ja nicht an einem Tag zu lernen. Auf was legen Sie den Fokus bei den Workshops?
Der Fokus liegt auf der Integration. Es ist ja keine Vorführung. Es geht nicht darum, zu zeigen, was wir können. Auch nicht darum, neue Tanztalente zu entdecken. Wir wollen Grenzen überschreiten und andere in die Welt des Tanzens entführen. Dabei werden die Teilnehmenden von Anfang an in den Kreis mit eingebunden. Wichtig ist es, keine Berührungsängste zu haben.

Sind Sie da auch schon mal auf Widerstände gestossen oder sind die Teilnehmenden recht schnell Feuer und Flamme?
Die Menschen, die an den Workshops teilnehmen, sind sehr unterschiedlich. Gewisse Widerstände gibt es schon, aber ich würde das eher als Schüchternheit bezeichnen. Das ist auch vollkommen in Ordnung. Motivieren müssen wir da nicht, eher beruhigen. Man merkt schnell, was das für eine Gruppe ist, warum sie mitmachen, aus Neugier oder Bewegungsdrang.

Yohan Stegli. (Bild: S. Ballone)

Auf was müssen Sie dabei besonders achten?
Im Vordergund steht der Tanz. Wir sind mehr Tanztruppe als Ballettcompagnie. Bei Ballett haben die Menschen immer sofort ein angestaubtes Bild mit Tutus und Spitzenschuhen im Kopf. Dabei ist es ein natürliches Bedürfnis des Menschen, sich mitzuteilen, und in der Bewegung, im Tanz, liegt der Ursprung der Kommunikation. Die Bewegung hat sich vor der Sprache entwickelt. Wer den Workshop besucht, nimmt in gewisser Weise an einer Reise zurück zum Ursprung teil.

Welches Feedback oder welche Situation ist Ihnen in den Jahren als Ballettmeister besonders in Erinnerung geblieben?
Es ist immer wieder schön, wenn die Teilnehmenden schliesslich auftauen. Tanz ist eine Erfahrung. Einen Mann mit portugiesischen Wurzeln hat es einmal so bewegt, er bedankte sich bei mir mit Tränen in den Augen. Da brechen Grenzen auf. Oder zu sehen, wie Kinder, die zunächst noch schüchtern sind, plötzlich die Hemmungen verlieren und wie kleine Tornados durch den Raum wirbeln.

Auch für die zwischen 18 und 23 Jahre jungen Mitglieder der Compagnie sind das lohnende Herausforderungen. Was nehmen diese nach zwei Jahren Bundesjugendballett mit?
Unsere acht Tänzerinnen und Tänzer packen richtig mit an. Es ist Teil ihrer pädagogischen Weiterbildung. Aber auch als Künstler ist das eine wichtige Erfahrung, denn Profis geraten schnell in eine geschlossene Blase, von der Realität entfernt. Im Workshop aber sind es Momente, wo sie sich als Mensch beweisen müssen.

Ein Ziel dieser Projekte ist ja auch, neues Publikum, neue Räume fürs Ballett zu gewinnen, den Tanz quasi in die Zukunft zu tragen. Auf was darf sich das Publikum der zwei öffentlichen Aufführungen freuen?
Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, aber es wird eine sehr hochstehende künstlerische und niveauvolle Aufführung werden. Die Choreographien stehen schon, zu sehen sind eigene sowie von jungen aber auch etablierten Choreographen.

Dann tanzen aber nur die Profis?
Genau. Sie alle sind Absolventen berühmter Schulen. Nachdem sie die Menschen in den Workshops körperlich bewegt haben, werden sie das Publikum vor der Bühne auch emotional bewegen.

Im Anschluss an die Workshops mit Thurgauer Schülern und Kindern, Patienten, Angehörigen und Angestellten der Klinik treten die jungen Talente zwei Mal öffentlich auf. Am 26. und 27. Oktober, 19.30 Uhr, steht das deutsche Bundesjugendballett auf der Bühne der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen. Karten und Infos unter
kultur-pkm.ch

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