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Aus Kreuzlingen vielleicht nach Bern

Kreuzlingen – Die Redaktion der Kreuzlinger Zeitung will von den jüngsten Kandidatinnen für die Sitze im Parlament wissen, wie ihre Politik aussehen würde.

Naomi Brot, möchte frischen Wind ins Parlament bringen. (Bild: Inka Grabowsky)

Als eine der jüngsten Kandidaten für einen Sitz im Nationalrat ist derzeit Naomi Brot schweizweit in den Medien präsent. Sie versucht, für die Jungen Grünen so viele Stimmen wie möglich zu holen. Die 18-Jährige hat gerade ein Studium der Politikwissenschaft in Zürich begonnen und ist nur noch an ihren freien Tagen zuhause in Kreuzlingen. Die Zeit für ein Interview mit der Kreuzlinger Zeitung nahm sie sich aber trotzdem.

Naomi Brot, wie lebt es sich mit der Prominenz?

Das Medieninteresse kam für mich unerwartet. Ich wollte meinen Wahlkampf vor allem über die sozialen Medien führen. Ich poste regelmässig bei Facebook, obwohl das in meiner Generation schon als ein wenig altbacken gilt, aber man kann so viele Menschen erreichen. Nun freue ich mich natürlich über die Plattform, die mir die herkömmlichen Medien zusätzlich bieten. Das hat allerdings auch Schattenseiten: Sogar eine unbekannte Politikerin wie ich bekommt Hasskommentare im Internet. Wer sich bei einer Bewegung wie dem Klimastreik exponiert, polarisiert eben. Auf der Strasse merke ich das nicht, aber aus der Anonymität des Netzes trauen sich Vereinzelte eben doch, persönliche Beleidigungen zu äussern.

Kritisieren könnte man ja leicht Ihre politische Unerfahrenheit. Warum trauen Sie sich die Arbeit im Parlament zu?

Gerade weil ich jung bin, kann ich frei entscheiden. Meine Ansichten sind nicht von Lobbyisten oder persönlichem Profitinteresse gesteuert. Ausserdem wird es wirklich Zeit, dass das Durchschnittsalter im Nationalrat sinkt. Heute liegt es bei über fünfzig. Beim Thema Klimaschutz treffen Menschen Entscheidungen, deren Auswirkungen sie selbst gar nicht mehr mitbekommen. Ich bin aber nicht nur wegen des Klimawandels politisch aktiv, sondern auch, weil ich mich in der Kanti als lesbisch geoutet habe. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, wie Alltagdiskriminierung aussieht. Die LGBTIQ plus-Community (Anmerkung der Redaktion: die Gruppe der lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen, queeren oder asexuellen Menschen) braucht Repräsentanten in Bern.

Nach Ihrem Vater, dem Pfarrer Damian Brot, sind Sie nun das zweite Mitglied der Familie, das in der Öffentlichkeit steht. Sorgt das für Konflikte?

Mein Vater wurde schon kritisiert, weil die Kirchgemeinde der Aktion Klimastreik Räume zur Verfügung gestellt hat. Dabei hat er sich bei der Entscheidung bewusst im Hintergrund gehalten. Meine Eltern gehören keiner Partei an. Innerhalb der Familie wird erst vermehrt politisch diskutiert, seit ich mich so engagiere. Ich habe also eher sie politisiert als sie mich.

Wie kam es zu Ihrem Engagement für die Jungen Grünen?

Ich wollte mich vor einem Jahr einer der Jungparteien anschliessen, um meine Themen Gleichstellung und Klimaschutz voranzutreiben. Offen gesagt: Ich habe bei den Jungen Grünen angefangen, ohne ernsthaft das Parteiprogramm zu studieren. Es war mehr ein «learning by doing».

Was sollte denn die Schweiz Ihrer Meinung nach tun, um dem Klimawandel zu begegnen?

Solange das Zugfahren teurer ist als das Fliegen, setzt man den falschen Anreiz. Flugticketabgaben könnten die Förderung des öffentlichen Verkehrs finanzieren. Aber es wird nicht reichen, wenn jeder Einzelne seinen Lebensstil hinterfragt. Es ist ein Irrtum zu glauben, damit sei alles gelöst. 71 Prozent der Emissionen der Welt werden von den hundert grössten Unternehmen verursacht. Die Schweiz hat über ihre Banken einen starken internationalen Einfluss. Wenn transparent würde, wer wieviel in die Förderung von fossilen Energieträgern investiert, könnte das die Öffentlichkeit aufrütteln und dazu führen, das schädliche Investitionen heruntergefahren werden. Ich glaube nicht an die Wirksamkeit von moralischen Appellen. Konzerne sind klar profitorientiert. Man muss ihnen per Gesetz Schranken setzen.

Sie selbst sind Vegetarierin – sollten alle Menschen ihren Fleischkonsum wenigstens einschränken?

Das kann man niemandem vorschreiben. Aber die Politik muss die Rahmenbedingungen für einen nachhaltigeren Lebensstil verbessern. Im Augenblick ist beispielsweise eine vegane Ernährung für viele Menschen zu teuer und zu kompliziert. Eigenverantwortung zu leben kann sich derzeit schlicht nicht jeder leisten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet Sie einen allfälligen zusätzlichen Sitz für die Listenverbindung aus SP, GLP und Grünen mit den entsprechenden Unterlisten bekommen, ist ja nicht besonders gross. Was motiviert Sie, trotzdem weiter zu kämpfen?

Ich will meiner Generation zeigen, dass es sich lohnt sich einzusetzen, dass Politik auch Spass macht, dass man dabei viele Menschen kennenlernt und vielseitige Aufgaben bewältigen kann. Klar, man muss sich auch mal mit unbequemen Themen auseinandersetzen, mit Steuergesetzgebung oder ähnlich trockenem Stoff, aber man kann doch etwas bewirken. Schon allein das unter Beweis zu stellen, ist ein Erfolg.

Wie geht es weiter, wenn Sie nicht gewählt werden?

Dann werden mein Leben und meine politische Aktivität wohl weiter gehen wie bisher. Ich werde mich immer noch gleich stark für meine politischen Schwerpunkte einsetzen und mich weiterhin im Klimastreik engagieren. Eine lange Pause im Wahlkampf wird es nicht geben, weil wir uns schon bald auf die Kantonsratswahlen im Februar vorbereiten werden.

Und sollten Sie wider Erwarten doch gewählt werden?

Dann wird mein Leben ganz schön auf den Kopf gestellt, aber ich hätte wohl einen wirklich aussergewöhnlichen Studentenjob.

Inka Grabowsky

Zur Ständeratskandidatin

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