Stufengerechter und voller Einsatz
Kreuzlingen – Roger Reinhart und Simon Hofmann stehen seit über fünf Wochen für den Regionalen Führungsstab Kreuzlingen im Einsatz. Die Corona-Pandemie stellte die Stabschefs vor Herausforderungen, brachte aber auch wertvolle Erkenntnisse.
Roger Reinhart, Simon Hofmann, Sie leiten den Regionalen Führungsstab Kreuzlingen gemeinsam und als Stellvertreter von Stabschef Markus Meile. Klappt das gut?
Roger Reinhart: Das klappt sogar ausgezeichnet und ich bin dankbar, dass wir mit dieser Lösung unseren Leistungsauftrag für unsere Partner-Gemeinden umfassend erfüllen können. Die Co-Führung für den Ernstfall haben wir mit unserem Stabschef Markus Meile lange vor Ausbruch der Corona-Pandemie besprochen und geplant.
Simon Hofmann: Die Führungsstruktur des RFS Kreuzlingen ist jetzt zum Tragen gekommen und hat sich bewährt. Für eine Durchhaltefähigkeit über Wochen braucht es eine Dreierablösung. Markus Meile erfüllt in seiner Funktion als Stabschef der städtischen Führungsorganisation der Stadt Zürich seinen Auftrag, während Roger Reinhart und ich als Stellvertreter für den RFS Kreuzlingen arbeiten können. Wir stehen jedoch in engem Kontakt und tauschen unsere Erfahrungen regelmässig aus.
Sie fungieren als Bindeglied zwischen dem Kantonalen Führungsstab sowie den insgesamt 14 Gemeinden, die dem RFS Kreuzlingen angehören. Was zählen Sie bisher zu den grössten Herausforderungen?
Roger Reinhart: Seitdem Markus Meile als Stabschef der Zivilschutzregion Kreuzlingen amtet, führt er mit dem Kernstab regelmässig Stabsübungen in den Partnergemeinden durch. Es zeigt sich nun, dass sie für eine gute Zusammenarbeit unerlässlich sind: In der Krisenbewältigung sprechen wir nicht umsonst von den drei K’s: «In Krisen Köpfe kennen». Aus meiner Sicht stellen in der aktuellen Lage die medizinischen als auch politischen Bereiche die grössten Herausforderungen dar, dies zeigt sich insbesondere in unserer Grenzregion.
Simon Hofmann: Deshalb zogen wir von Beginn weg die zahlreichen Grenzgängerinnen und Grenzgängern in unsere Planung ein. Unser Fokus lag unter anderem bei den Mitarbeitenden der Spital Thurgau AG, die in Münsterlingen arbeiten. Immerhin machen sie 40 Prozent der Belegschaft aus. Für den Fall, dass sie die Grenze nicht mehr passieren dürfen, haben wir Unterkünfte organisiert. Glücklicherweise kam es nicht dazu. Unsere Aufgabe ist es jedoch, vorausschauend zu planen und entsprechende Massnahmen zu beurteilen und einzuleiten. Abgesehen davon war die bauliche Sicherung auf Schweizer Seite entlang der Kunstgrenze in logistischer und emotionaler Hinsicht eine grosse Herausforderung. Alle getroffenen Massnahmen stehen jedoch in Zusammenhang mit dem Schutz der Bevölkerung, der Umsetzung der Verhaltens- und Hygieneregeln des Bundesrates mit dem Ziel, die Verbreitung dieses hoch ansteckenden Virus zu verhindern.
In der Tat schlug die bauliche Sicherung hohe Wellen, selbst die New York Times berichtete darüber. Wie sieht die Lage jetzt aus?
Simon Hofmann: Sie hat sich beruhigt – die meisten Personen halten sich an die Verhaltensregeln. Wir stehen in engem Kontakt mit dem Grenzwachtkorps, der Kantonspolizei und dem Sicherheitsdienst, den die Stadt Kreuzlingen zur Überwachung von öffentlichen Plätzen beauftragte. Die Bevölkerung ist sehr diszipliniert und einsichtig, dafür gebührt ihr ein grosses Dankeschön.
Sie stehen nun seit über fünf Wochen für den RFS im Einsatz, organisieren, koordinieren und verfassen täglich informative Bulletins für die Partnergemeinden. Wenn die Krise vorüber ist, kommt es zur Manöverkritik. Können Sie bereits jetzt Defizite ausmachen, die im Einsatz nicht oder suboptimal funktionierten?
Roger Reinhart: Der Regionale Führungsstab (RFS) wurde zu einem sehr frühen Zeitpunkt durch den Kantonalen Führungsstab (KFS) miteinbezogen. Dies verschaffte uns einen beachtlichen Vorsprung in unseren Planungen. Der RFS konnte sein führungstaktisches Ziel «vor das Ereignis zu kommen» schnell erreichen. Dadurch konnten wir die vom Ereignis bedingten «Überraschungen» auf ein Minimum reduzieren. Die Situation, dass wegen «Social Distancing» nicht aus einem Kommandoposten (KP) geführt werden kann, stellte uns vor folgende Herausforderungen: wie ist eine Führungsstruktur aus dem Homeoffice möglich und was wird dafür benötigt? Durch den grossen Einsatz von Andreas Sieber, Chef Lage des Zivilschutzes, verfügten wir innert kürzester Zeit über eine Online-/ Offlinelösung für die Führung dieses Ereignisses. Diese Plattform können wir jetzt weiterentwickeln und ausbauen. Durch das Ereignis COVID-19, das uns seit Wochen beschäftigt, gewinnen wir sehr viele Erkenntnisse, die wir künftig einfliessen lassen können. Es ist auch eine Herausforderung, seine eigene Rolle zu finden: führt der RFS, koordiniert der RFS oder berät der RFS? Wir haben festgestellt, dass diese Fragen vom Ereignis und der zeitlichen Komponente abhängen. Aktuell sind wir als Berater und Koordinatoren bei den Gemeinden und Organisationen im Bezirk präsent.
Simon Hofmann: Die Begriffs- und Aufgabendefinition «Regionaler Führungsstab» war zu Beginn eine grosse Herausforderung. In dieser Lage führt der Bund, die Kantone setzen um und der Regionale Führungsstab informiert und berät die Gemeinden. Alle Stufen mussten zu Beginn des Einsatzes ihre Rolle finden. Nicht abschliessend geregelt sind Fragen wie: Wer darf wann was anordnen und kommunizieren? Die rechtlichen Grundlagen und die Kompetenzen-Regelung müssen im Nachgang präzisiert werden. Besonders wichtig für mich wird jedoch die Manöverkritik unserer Auftraggeber sein, dem Kantonalen Führungsstab, der Zivilschutzkommission und von unseren Gemeinden.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den anderen Organisationen im Bevölkerungsschutz?
Roger Reinhart: Die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten gestaltet sich vorbildlich. Der RFS wird unterstützt durch die Führungsunterstützung des Zivilschutzes und erledigt einen Grossteil der administrativen Arbeiten. Das hält uns den Rücken frei für andere Aufgaben und Tätigkeiten. Auch die Zusammenarbeit mit den Gemeinden, Technischen Betrieben, Polizei, Grenzwachtkorps, Feuerwehr, Sanität und Kommunikation ist sehr positiv. Wir unterstützen uns gegenseitig, sowohl fachlich und wenn möglich auch personell. Wie in einer ausserordentlichen Lage gefordert, können durch die enge Zusammenarbeit tragfähige Entscheide sehr schnell und organisationsübergreifend gefällt werden. Das ist für eine erfolgreiche Ereignisbewältigung eminent wichtig. Wir möchten uns bei allen Partnern dafür herzlich bedanken.
Sie beide üben nebst den Führungsaufgaben im RFS einen Beruf aus. Was machen Sie und bleibt Ihnen überhaupt Zeit, ihren beruflichen Pflichten nachzukommen?
Roger Reinhart: Ich bin hauptberuflich als Senior-System-Engineer bei der Firma UMB AG tätig. Wir erstellen und betreiben für unsere Kunden die gesamte IT-Infrastruktur am jeweiligen Standort oder in einem unserer Datazentren. Es ist ein sehr anspruchsvoller Balanceakt: wie viel Zeit kann ich in meine Milizfunktion investieren und wo werde ich dringend im Betrieb gebraucht. Das führt aktuell zu sehr langen Arbeitstagen. Ich versuche morgens für meinen Arbeitgeber und die Kunden zu arbeiten und jeweils nachmittags und abends für den RFS tätig zu sein. Bei einem solchen Ereignis, dass sich über Wochen und Monate erstreckt, ist die Koordination mit dem Arbeitgeber sehr wichtig. Ich darf auf die volle Unterstützung meines Arbeitgebers zählen, nur so ist es möglich, diese Funktion auszuüben.
Simon Hofmann: Ich bin als Berufsoffizier in der Höheren Kaderausbildung der Armee in Luzern tätig. Dort bilde ich Führungskräfte und Stäbe der Schweizer Armee aus. Zu Beginn der Krise bin ich oft zwischen Kreuzlingen und Luzern gependelt, da physische Sitzungen den Videokonferenzen vorgezogen wurden. Aktuell sind unsere Lehrgänge in Luzern ausgesetzt und Videokonferenzen gehören zum Alltag. Schön ist es, dass ich in dieser Krise nahe bei meiner Familie sein kann, obwohl ich sehr oft durch den Einsatz für den RFS voll absorbiert bin. Die Arbeitstage zu Hause im Homeoffice sind lang und dauern oft bis tief in die Nacht. Denn ich stehe als stellvertretender Stabschef des RFS, als Berufsoffizier sowie als Milizoffizier im Einsatz. Mein Arbeitgeber unterstützt auf breiter Front die Bewältigung dieser Krise, auch mit meinem Einsatz im Regionalen Führungsstab Kreuzlingen.
Der Regionale Führungsstab kommt in der Regel zum Einsatz, wenn eine oder mehrere Gemeinden der Region betroffen sind. Im Kernstab des RFS Kreuzlingen sind die fünf Säulen des Bevölkerungsschutzes (Polizei, Feuerwehr, Gesundheitswesen, Technische Betriebe und Zivilschutz) personell abgebildet und durch den Bereich Kommunikation verstärkt. Der RFS koordiniert den Einsatz der Partnerorganisationen und setzt die Führungsunterstützung ein. Zudem stellt der RFS die Verbindung für und zu den betroffenen Behörden sicher und bereitet die Entscheide der Behörde vor. Im Ereignisfall wird der Kernstab durch die ortskompetenten Spezialisten der Schadengemeinde(n) verstärkt. Zum RFS Kreuzlingen gehören folgende Gemeinden an: Altnau, Bottighofen, Ermatingen, Gottlieben, Güttingen, Kemmental, Kreuzlingen, Langrickenbach, Lengwil, Münsterlingen, Raperswilen, Tägerwilen, Wäldi und Salenstein.