«Dieses Buch ist, was die Menschen gerade brauchen»
Konstanz – In seinem neusten Roman «Der Corona-Idiot» widerspiegelt Markus Reich das Leben während des Lockdowns. Es geht um Liebe, Angst, Verzweiflung und Abhängigkeit in Zeiten der Unsicherheit. Dem Grenzzaun selbst widmete er sogar ein eigenes Kapitel.
Zwei Verlorene irren durch eine aus dem Tritt gekommene Welt. Sie wollen neu beginnen, helfen und lieben sich. Aber die Bedrohung ist allgegenwärtig. Clemens wird von seiner Partnerin betrogen und findet sich als mittelloser Schriftsteller auf der Strasse wieder. Dort trifft er Sarah, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann flieht. Sie erleben die seltsamsten Erscheinungen der Corona-Krise: Grenzzäune, Demonstrationen und hitzige Diskussionen. Während die Grenze zwischen Wahrheit und Wahn verschwimmt, geraten sie in neue Abhängigkeiten.
Das verrät der Buchrücken über den Roman, welcher sich hauptsächlich in Konstanz während des Lockdowns abspielt. Aber warum hat sich der 52-jährige Markus Reich überhaupt diesem Thema angenommen? «Als Autor erwäge ich oft bei Sachen, die mich beschäftigen, ob ich sie literarisch bearbeiten will. Zunächst hatte ich nur beabsichtigt, eine Kurzgeschichte über die Corona-Zeit zu schreiben, um festzuhalten, wie ich diese Ausnahmesituation erlebe.» Er sei aber zum Schluss gekommen, dass daraus eher ein Erinnern geworden wäre und nicht eine Abbildung der gegenwärtigen Erfahrungen. Die Ermutigung, überhaupt etwas über solch ein hochaktuelles und sensibles Thema zu schreiben, kam von einem Freund. Dieser sagte ebenfalls: «Dieses Buch ist, was die Menschen gerade brauchen.» Dies habe Reich geholfen, den Roman fertig zu stellen.
Schwierige Zeiten
Die Corona-Situation zwischen Januar und Mai ist der alles beeinflussende Hintergrund des Romans. «In der Geschichte werden die Erfahrungen und Reaktionen der Protagonisten auf die ungewöhnliche Situation geschildert, denn die Lockdown-Situation hat viele, gerade auch im privaten Umfeld, stark unter Druck gesetzt», sagt Reich. Ihm selbst sei es nicht viel anders ergangen: «Natürlich empfand ich die Situation als sehr einschränkend und bedrückend.» Dennoch habe er ihr auch positive Aspekte abgewinnen können. Plötzlich sei man zur Ruhe gezwungen gewesen, was auch erfreuliche Betrachtungsweisen ermöglichte. «Mit Freunden habe ich eine Tischtennis-Platte in einem nahegelegenen Park entdeckt, und wir fingen an wieder Tischtennis zu spielen oder machten Radtouren im Hegau», erzählt der Autor. Als berg- und landschaftsbegeisterter Konstanzer habe ihm zu schaffen gemacht, dass er die Schweizer Berge zwar gesehen habe, aber nicht besuchen konnte. «Das habe ich als starke Einschränkung empfunden.» Um dennoch Kreuzlinger Freunde in Natura zu sehen, verabredete er sich, so wie viele andere, am Grenzzaun.
Ein eigenes Kapitel für den Zaun
Konstanz und Kreuzlingen sind sehr eng miteinander verbunden. Nicht nur räumlich, sondern gerade auch durch all die Freundschaften und Beziehungen, aber auch durch den Handel und die vielen Freizeitaktivitäten. «Der Grenzzaun war ein augenfälliges Symbol des Zustandes der geschlossenen Grenzen», sagt Reich. Deshalb habe er mit «Der Grenzzaun» diesem Symbol der Trennung und Freiheitseinschränkung ein eigenes Kapitel gewidmet. «Die fantasie- und friedvollen Aktionen der Bürger beider Grenzorte, wie das in den Zaun gewobene Wort «Kreuztanz», sagen sehr viel über die Verbundenheit beider Städte aus», findet Reich und zitiert aus «Der Corona-Idiot»: «Erst nachdem man sich nicht mehr frei bewegen konnte, wurde überdeutlich, wie wichtig die offenen Grenzen waren.»
Auch wenn die Figuren und Lebensgeschichten frei erfunden sind, ist der Autor selbst in der Geschichte wiederzufinden. Der Protagonist Clemens bekommt nach einem Jahr Berufstätigkeit das Angebot seinen «Brotjob» an den Nagel zu hängen, um als Autor zu leben. «Ich stand vor einer ähnlichen Entscheidung, habe mich aber gegen das frühe Autorendasein und für den Job als Ingenieur entschieden», erklärt Reich.
Findet man wirklich nichts zwischen den Zeilen? Ist der Roman tatsächlich ganz neutral gegenüber dem Thema Corona? «Natürlich gibt es immer Andeutungen. Dennoch habe ich versucht, niemanden schlecht zu machen», sagt der Autor. «Ihm sei wichtig gewesen, dass die Verlierer der Krise im Mittelpunkt stünden. Deshalb überlegt der Protagonist am Ende der Geschichte, was er in seinem Leben bewirkt hat und wie er in irgendeiner Form helfen kann.
Am Freitag, 11. Dezember, 20 Uhr, findet eine Lesung im Kult-X an der Hafenstrasse 8 statt.
Kurzvita
Markus Reich wurde 1968 in Rastatt/Baden geboren, wuchs in Wendlingen am Neckar und in Dornhan im Schwarzwald auf. Nach Schule, Ausbildung und Ingenieurstudium folgte eine zehnjährige Reisetätigkeit als Ingenieur für Siemens in 24 Ländern auf vier Kontinenten. Die Liebe zur Literatur entdeckte er bereits während des Studiums. 2008 kehrte Reich nach Deutschland zurück und startete eine berufliche Karriere in Konstanz und in der Schweiz. Er schreibt Drehbücher, Romane, Theaterstücke, Hörspiele und Kurzgeschichten. Seit 2017 lebt er als freier Autor in der Konzilstadt.Mit acht Schauspielern wurde 2016 in Konstanz «der Gedankenleser» aufgeführt. 2017 gewann Reich den 1. Preis im Rahmen der LiteraTour auf dem Bodensee beim IBC-Kurzgeschichtenwettbewerb mit «Tante Bella und die Grünpflanzenkommissarin».
Dieser Artikel zum Roman von Markus Reich trifft es auf den Kopf und macht Lust, das Buch zu lesen. Übrigens auch ein sehr schönes Geschenk an eine liebe Person, mit der man sich darüber unterhalten kann.