Erste Hecke gepflanzt
Kreuzlingen – Vor dem Stefanshaus wächst ein neues Biotop für Vögel, Kleinsäuger und Insekten. Es ist Teil der Aktion «Vorteil naturnah».
Um acht Uhr morgens begann die Fronarbeit: Acht Freiwillige von katholischer Kirchgemeinde und dem Vogelschutzverein Kreuzlingen und Umgebung hoben unter Anleitung des Biogärtners Markus Allemann Pflanzgruben aus und setzten 30 heimische Sträucher in den Garten vor dem Stefanshaus. Ursprünglich standen an der Mauer Forsythien. Die Exoten aus Ostasien sind für die Menschen zwar eine Augenweide, werden aber von Insekten gemieden. Die Blüten bieten kaum Nektar, die Blätter sind giftig, und Früchte tragen die Hybriden auch nicht.
Dornen gegen jagende Katzen
Nun sollen im Frühjahr stattdessen Hartriegel, Heckenrose und Felsenbirne blühen. «Beim Pflanzen der Pfaffenhütchen mussten wir ein bisschen schmunzeln», sagt Kirchenpfleger Simon Tobler. Doch die Gewächse sind nicht ausgesucht, weil ihre Namen zum Standort an der Stefanskirche passen, sondern weil seit Jahren die Anzahl der Brutvogelarten im Siedlungsgebiet zurück geht. «Der Mönchsgrasmücke, dem Zaunkönig oder dem Rotkehlchen fehlen geeignete Nistplätze», erklärt Uli Bühler vom Vogelschutzverein. In den nächsten Jahren sollen sie auf dem Kirchenareal ein Zuhause finden. Dornige Gehölze werden hier jagenden Katzen das Leben schwer machen. Die Blüten der Pflanzen sollen Insekten anlocken, die den Vögeln dann als Nahrung dienen. Die Früchte werden helfen, die Tiere gut durch den Winter zu bringen. Laubhaufen im Beet können Erdkröten oder Igeln Unterschlupf bieten. Für Kleiber und Bachstelze hängen Nisthöhlen in einer Zeder und einer hohen Kastanie am Rande des Gartens.
Vorbote für mehr Biodiversität
Die Anpflanzung bei St. Stefan ist Teil der Initiative «Vorteil Natur», die vergangenen Sommer vom Kanton lanciert worden ist. Sie will öffentliche Grün- und Freiräume ökologisch aufwerten – im einfachsten Fall, indem sterile Rasenflächen zu bunten Blumenwiesen werden. Die Stadt Kreuzlingen hat sich um die Teilnahme beworben und Schulen und Kirchen mit ins Boot geholt. «2021 wird es den offiziellen Startschuss für Pflanzaktionen geben», so Stefan Braun, der Umweltbeauftragte der Stadt, der tatkräftig mit Hand angelegt hatte. «Dieses Projekt ist quasi ein vorgezogenes Musterbeispiel». Die Hälfte der Kosten der Pflanzaktion wird vom Kanton getragen, der Vogelschutz trägt ebenso wie die katholische Kirchgemeinde einen weiteren Teil. Mit Mehrkosten bei der Pflege ist nicht zu rechnen. Johann Länzlinger, der Hauswart des Stefanshauses, wird sich um die Anpflanzung kümmern. Nach einer Schulung vom Amt für Raumentwicklung weiss er, was auf ihn zukommt: «Es wird nicht mehr Arbeit geben, aber etwas Andere als bisher».
Kirche steht hinter Naturschutz
Pfarrer Erwin Stier gab der neuen Hecke nur zu gerne seinen Segen. Er freue sich schon heute auf den Anblick aus seinem Fenster, meinte er. «Ich stamme aus einem kleinen Dorf. Mir fehlt etwas, wenn ich kein Vogelgezwitscher höre». Eine Brücke zwischen Naturschutz und Theologie zu schlagen, fiel ihm leicht. «Papst Franziskus hat uns vor fünf Jahren eine Steilvorlage gegeben, als er seiner Enzyklika ‹laudato si› die Vogelpredigt des heiligen Franziskus voranstellte». Der Pfarrer zitierte vor dem gemeinsamen Gebet aus dem Sonnengesang des Heiligen: «Gelobt seist du, mein Herr, für unsere Schwester Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt, mit bunten Blumen und Kräutern».
Inka Grabowsky