Spass mit Botschaft
Kreuzlingen – Die «Schweizermacher» rocken den Seeburg-Park mit satirisch überzogenen Klischees.

Das Ensemble nutzt nicht nur die vielseitige Drehbühne von Damian Hitz, sondern das gesamte Areal. Bilder: (Inka Grabowsky)
«Wenn das See-Burgtheater spielt, dann fängt der Sommer an», sagt Regierungsrat Walter Schönholzer in seinen Eröffnungsworten. Da ist es egal, dass es regnet, das Publikum unter Wolldecken sitzt und der Premieren-Apéro dem Tiefdruckgebiet zum Opfer fiel. Unter den vielen Open-Air-Veranstaltungen könne nur das See-Burgtheater mit der Kulisse des Bodensees beeindrucken, so der Politiker. Die Zuschauer freuen sich währenddessen vor allem darüber, dass das See-Burgtheater eine gedeckte Zuschauertribüne anbietet. Zum Schluss der Ansprache stellte der Regierungsrat mit einem Augenzwinkern noch klar: Der Name Schönholzer stehe zwar auf dem Programm, doch er habe mit dem Musical nichts zu tun. Es ist der Komponist Markus Schönholzer, der sich für die mitreissenden Melodien verantwortlich zeichnet. In Kreuzlingen wird sein Werk zum dritten Mal inszeniert, nach der Uraufführung 2010 in Zürich und einer Aufführung in Gossau 2016 – schon damals unter der musikalischen Leitung von Philippe Frey, der auch in Kreuzlingen Schwung in den Abend bringt.
Kreuzlinger Version des bekannten Themas
Einzigartig ist die Kreuzlinger Version unter der Regie von Leopold Huber. In Corona-Zeiten sollten Aufführungen ohne Pause gespielt werden, damit die Menschen sich an der Bar oder beim Warten vor dem WC nicht zu nahe kommen. Huber hat mit seinem Team deshalb die Geschichte auf zwei Stunden zusammengekürzt. Das tut dem Stoff gut. Rasant geht es von Szene zu Szene und von Song zu Song. Den Inhalt kennen die meisten Zuschauer ja ohnehin vom Kinofilm aus dem Jahr 1978: Ein naiver Fremdenpolizei-Anwärter (Adrian Burri) verliebt sich ausgerechnet in sein selbstbewusstes Observations-Objekt (Marissa Jüni). Die Rollen von Gut und Böse sind dabei schnell geklärt, denn der Chef Max Bodmer (Christoph Wettstein) überschreitet jegliche Grenze des Anstands. Er sagt Dinge, die in Zeiten der politischen Korrektheit längst niemand mehr öffentlich sagt. Dabei geht es nicht nur um hundskommune Fremdenfeindlichkeit, sondern auch um männlichen Chauvinismus. «Der Hirsch im Wald, der Tiger im Tank, der Hecht im Teich und der König im Land» sei ein jeder Mann. Zumindest dem singenden und tanzenden Männerballett, das diesen Text im Brustton der Überzeugung intoniert, könnte kaum eine Frau widerstehen. Das Ensemble macht die Bünzli-Schweizer lächerlich, aber es stellt doch auch ernste Fragen. Auf wen würde Tell schiessen, wenn er heute leben würde? Wer vertritt die schweizerischen Werte tatsächlich? Sind es wirklich Eigenschaften wie «solid», «charakterfest», «einfach», «integer», «wehrhaft», «ehrlich» und «realistisch», mit denen man «Schweizer» buchstabiert? Und welche Rolle spielt ein Pass überhaupt? Im Seeburg-Park in Sichtweite der EU-Aussengrenze – vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Grenzschliessung vor einem Jahr – gewinnt das an Relevanz.
Schöne bunte Welt
Wesentlich für die euphorisierende Wirkung der Aufführung sind neben der perfekt umgesetzten Choreographie die 92 Kostüme, mit denen Joachim Steiner das Publikum zurück in die siebziger Jahre versetzt. Damit erübrigen sich unangenehme Zweifel. Damals, so scheint es, bewarben sich noch harmlose Zuwanderer um den Pass. Selbstverständlich sind sie uns sympathisch, denn sie stehen uns nah. Aber wenn sie nun nicht aus Deutschland, Italien oder Ex-Jugoslawien kämen? Wenn sie asiatisch oder afrikanisch aussähen und nicht Akademiker oder Künstler wären, sondern arbeitslos? Wären wir dann immer noch auf ihrer Seite, oder würden wir mit dem Fremdenpolizisten Max Bodmer und der Denunziantin Frau Galli auf Abstand gehen?
In der Kreuzlinger Inszenierung fällt es leicht, diese Fragen zurückzustellen und einfach den Sommerabend zu geniessen. Das Premierenpublikum jedenfalls brach in völlig unschweizerische Begeisterungsstürme aus.
Inka Grabowsky